"Gute Ratschläge": Schwergängiger Briefroman von Jane Gardam
Die 96-jährige Britin Jane Gardam wurde in Deutschland erst 2015 mit ihrem Roman "Ein untadeliger Mann" bekannt. Gerade ist ihr neues Buch "Gute Ratschläge" erschienen.
Eliza Peabody kann plötzlich anderen Menschen in ihre Köpfe sehen - hat die Ich-Erzählerin vielleicht Wahrnehmungsstörungen? Oder wie ist es zu erklären, dass sich jemand, mit dem sie gerade noch Tee getrunken hat, einfach auflöst?
Der schlaksige, herrlich gearbeitete, exzellent gekleidete Leib des Professor Hookaneye schimmerte und vibrierte und schmolz und verflüchtigte sich und begann wirbelnd in der Kanalisation zu verschwinden, so dass ruckzuck nur noch eine Schuhspitze zu sehen war - schwarz poliert wie das Rund eines kleinen verlorengegangenen Kricketballs. Dr. Hookaneye, Joan, war nicht mehr. Leseprobe
Hinter den Fassaden lauert Bedrohliches
Joan, der Eliza Peabody von diesem Vorfall berichtet, wird das ebenso wenig interessieren, wie der Umstand, dass der vermeintlich verflüssigte Dr. Hookaneye in seiner eleganten Gesamterscheinung bald wieder auftaucht. Denn Elizas Nachbarin Joan hat Mann, Kinder, Haus und Hund ohne Ankündigung verlassen und ist irgendwo in der Welt unterwegs. Kein Wunder, dass Elizas Briefe, die sie Joan unermüdlich schreibt, unbeantwortet bleiben. Nur ab und zu schickt Joan ihr ein Geschenk.
Ich habe nie in meinem Leben etwas Schöneres besessen als dieses herrliche goldfarbene Gewand. Ich sitze da und drücke es an mich und streiche über den Stoff. Kein Wort dazu, außer "von Joan" - ich wünschte wirklich, du hättest einen Brief beigelegt. Leseprobe
Wie ist Joans Verschwinden zu erklären, fragt sich Eliza. Und beobachtet auch die anderen Nachbarn in der beschaulichen Rathbone Road.
Nun wäre Jane Gardam nicht Jane Gardam, wenn hinter den Fassaden der hübschen Häuser mit den gepflegten Gärten nicht Bedrohliches lauern würde.
Das Trauma einer Totgeburt
Angst und Verzweiflung sind ein zunächst kaum wahrnehmbares, dann immer stärkeres Grundrauschen in der Geschichte. Eliza hat viele Jahre an der Seite ihres Diplomatengatten im Ausland verbracht. Als Henry sie nun nach 30 Ehejahren verlässt, um mit Joans Mann Charles zusammenzuleben, reagiert sie nicht allzu emotional; sie freut sich nur darüber, seine Socken nicht mehr stopfen zu müssen. Etwas scheint wohl ganz grundsätzlich nicht zu stimmen mit Eliza:
Mein ganzes Leben lang habe ich das Gefühl gehabt, bestimmte Ereignisse seien die Konsequenz meiner Sünden. Leseprobe
Ein wiederkehrendes Motiv in Jane Gardams Werk ist das des verlassenen und einsamen Kindes, und auch Eliza ist mutterlos aufgewachsen. Aber sie ist auch die verlassene Mutter. Eliza "Peabody" - Gardams Faible für sprechende Namen - hat die Erbse im Mutterleib, die ihr Kind werden sollte, verloren, das Trauma einer Totgeburt erlebt. Das alles erschließt sich zum Ende der vielen, vielen Briefe, die Eliza an Joan schreibt und aus denen "Gute Ratschläge" ausschließlich besteht. Und vielleicht liegt es an dieser formalen Eigentümlichkeit, dass sich "Gute Ratschläge" ein wenig schwergängig liest. Aber trotzdem lohnt sich die Lektüre, weil die Geschichte der Eliza Peabody so skurril wie berührend erzählt ist.
Gute Ratschläge
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Monika Baark
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27957-5
- Preis:
- 25 €