Buch-Cover: "Die Welt zwischen den Nachrichten" von Judith Kuckart © DuMont

"Die Welt zwischen den Nachrichten": Eine zeitlose Lebensgeschichte

Stand: 27.08.2024 06:00 Uhr

Judith Kuckarts Roman öffnet bei der Lektüre Wege zu eigenen Erinnerungen. Die eigenen Gedanken passen hervorragend zwischen die Zeilen dieser nüchtern formulierten Lebensgeschichte.

von Annemarie Stoltenberg

Für ihren neuen Roman hat Judith Kuckart die Form des sogenannten autofiktionalen Erzählens gewählt, das zurzeit sehr in Mode ist, weil es Autoren und Autorinnen viel Freiheit erlaubt beim Wechselspiel zwischen Bekenntnis und Erfundenem, Wahrheit und Fantasie.

Man erkennt im Roman deutlich den Lebenslauf einer Frau wie Judith Kuckart. Sie wurde Ende der 50er-Jahre in Schwelm geboren und hat schon als Kind mit dem Tanzen begonnen. Sie gründete das Tanztheater Skoronel und hat dann angefangen, kleine Texte für dieses Tanztheater zu schreiben. "Bei manchen Passagen hat diejenige, die da erzählt, die Farbe Rot, die Temperatur 37 Grad und ist ganz nah dran, und bei anderen Passagen ist sie ziemlich weit weg und ist vielleicht ganz kühl Blau und erst 17", sagt Kuckart. "Die Perspektiven wechseln innerhalb der Person, die da erzählt, und das hat etwas sehr Subjektives. Das ist eine andere Dringlichkeit, als wenn man Erinnerungen unbedingt aufbewahren möchte."

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Eine ganz eigene Wehmut und Poesie entfaltet sie in den Passagen, in denen Judith Kuckart von ihrer geliebten Oma, genannt Omma, erzählt. Sie hat ihr, bevor sie lesen und schreiben konnte, Gedichte beigebracht. Die Großmutter spielt überhaupt eine wichtige Rolle in dem Roman: "Weil ich eigentlich bei der groß geworden bin. Meine Eltern waren sehr jung und sehr übermütig und wollten eigentlich ein eigenes Leben führen. Oma wohnte mit im Haus - das war nicht unser Haus, das war ein ziemlich heruntergekommenes Mietshaus neben einer leerstehenden Fabrik. Ich wurde mehr als oft bei Oma abgegeben, wenn ich störte."

Oma Elisabeth hat die Ich-Erzählerin in dem Roman auch zum Kinderballett begleitet und eine lebenslange Leidenschaft geweckt. Judith Kuckart ist mit 16 Jahren zu einem Vorstellungstermin nach Wuppertal zum Tanztheater von Pina Bausch gefahren: "Ich habe mich am Pförtner vorbeigeschlichen, habe meine Zahnspange - weil ich eigentlich zum Zahndoktor gehen sollte - in die Seifendose getan, das Trikot vom Schwelmer Kinderballett angezogen und bin zum Vortanzen gegangen. Sie kam rein, hat mich gesehen und gefragt: 'Wie heißt du denn?' Ich habe meinen Namen gesagt, und dann wollte sie den Nachnamen wissen. Da habe ich den Nachnamen von meinem Zahndoktor gesagt, weil ich mich 'undercover' dahingestellt hatte. Dann hat sie gesagt: Wie alt bist du denn? Da habe ich gesagt: 'Neunzehneinhalb'. Da hat sie mich auf die Stirn geküsst und gesagt: 'Dann kommst du mal wieder, wenn du neunzehneinhalb bist.'"

Kuckarts Roman öffnet Zugang zu den eigenen Erinnerungen

"Die Welt zwischen den Nachrichten" ist ein Roman, der bei der Lektüre Wege zu eigenen Erinnerungen öffnet. Die eigenen Gedanken passen hervorragend zwischen die Zeilen dieser so fragil und nüchtern formulierten Lebensgeschichte, die in ihrer wundersamen Zeitlosigkeit zeigt, wie wenig die äußeren Ereignisse, wie sie in Nachrichten dokumentiert werden, mit dem inneren Erleben zu tun haben. Judith Kuckart gibt ihrer Leserschaft eine Angel, um im eigenen Leben nach den Erinnerungen zu fischen, die auch von einem geglückten Leben künden.

Die Welt zwischen den Nachrichten

von Judith Kuckart
Seitenzahl:
220 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Dumont
Bestellnummer:
978-3-8321-6846-9
Preis:
24 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 27.08.2024 | 12:40 Uhr

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