"Die Hochstapler": Sarkastische Geschichten über den Literaturbetrieb
Wer schon einmal einen Roman von Tom Rachman gelesen hat, erinnert sich vielleicht, dass es um Menschen ging, die schreiben. Im neuen Roman "Die Hochstapler" ist das auch so. Im Zentrum eine alte Schriftstellerin.
Dora ist Holländerin, lebt aber seit ewigen Zeiten in London. Ihre Romane standen nie auf einer Bestseller-Liste, die letzten allerdings waren nur noch Ladenhüter. Sie merkt selbst, dass sie ständig den Faden verliert - inzwischen ist sie 74. Nur, was soll sie den ganzen Tag tun? Ihre Agentin rät zum Weiterschreiben, klingt dabei zwar halbherzig, aber Dora fängt nochmal an. Sie wird die Menschen ihres Lebens zu Romanfiguren machen, das war schon früher ihr Hauptinteresse an neuen Bekanntschaften: Lassen sie sich als Figuren verwerten, oder sind sie zu langweilig? Inzwischen lernt sie niemanden mehr kennen, sie muss aus der Vergangenheit schöpfen.
Wie eine Person plötzlich abstürzen kann
Tom Rachman lässt seine Dora über acht Menschen schreiben: den ehemaligen Geliebten, die Freundin, auch Dora selbst taucht auf, lauter eigenständige Kapitel, und zwischendrin spekuliert sie in einem Tagebuch, ob daraus ein Roman werden kann.
Ein Kapitel gilt ihrer Tochter Rebecca, genannt Beck, die in Los Angeles Gags und Geschichten für Comedians schreibt. Immer im Hintergrund, aber sehr erfolgreich.
Für Beck ist Comedy fast ein mechanisches Objekt: Punchlines, die man wie ein Ingenieur vom Ende her zusammenbaut, Prämissen, die man gnadenlos verschraubt, verbale Irreführungen, die man den Leuten einhämmert. Leseprobe
Erst als ein Comedian aus dem Ruder läuft, ein Weißer, der mit schwarz geschminktem Gesicht sein Publikum anpöbelt, kommt in Beck Panik auf. Wenn sie mit diesem Scheusal in Verbindung gebracht wird, ist sie beruflich geliefert, selbst wenn kein einziger seiner hasserfüllten Gags von ihr stammt. Und dann hat sie auch noch Liebeskummer und ihr Hund stirbt. Großartig, wie Rachman den Zynismus einer Branche seziert, in der eine Person von jetzt auf gleich abstürzen kann.
Jede Geschichte ist lesenswert
Sehr vergnüglich liest sich die Episode mit einem Schriftsteller, der nach langer Durststrecke zu einem Festival in Australien eingeladen wird. Eine Menschentraube wartet schon auf seinen Auftritt - Irrtum, auf ihn wartet niemand. Die Menschen warten auf Malala, die junge Friedensnobelpreisträgerin. Sein Angebot, Bücher für den späteren Verkauf zu signieren, wehren die Veranstalter ab.
"Wissen Sie, die Verlage bei uns sind da ein bisschen eigen. Sie nehmen keine Bücher zurück, die signiert sind. Also sollten wir sie vielleicht lieber so lassen, wie sie sind, meinen Sie nicht? Nur für den Fall, dass sie sich nicht verkaufen." Leseprobe
Tom Rachman beschreibt das Festival so pointiert, als müsste er selbst manchen Frust über den Literaturbetrieb loswerden. Jede einzelne Geschichte ist lesenswert. Amir, der gescheiterte Student zum Beispiel, der über die im iranischen Gefängnis erlittene Folter schreiben möchte. Oder der alte Restaurantkritiker, der sich sorgt, wer sich später um seinen behinderten Sohn kümmern wird. Die Mutter wollte ihn nie um sich haben.
Rachmans Figuren kämpfen mit dem Schreiben
Tom Rachman charakterisiert schonungslos und sarkastisch, oft durch treffende Dialoge. All seine Figuren kämpfen mit dem Schreiben: ob Brief, Buch oder Artikel. Nur auf die Rahmenhandlung mit der Tagebuch-schreibenden Schriftstellerin Dora hätte Rachman verzichten können - sie ist einfach zu verschachtelt. Man möchte ihm zurufen: Mach' es doch nicht so kompliziert, verlass dich auf deine tollen Geschichten!
Die Hochstapler
- Seitenzahl:
- 416 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Bernhard Robben
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28397-7
- Preis:
- 25 €