Bilderbuch "Tauchsommer": Wenn Papa nicht mehr leben will
In Sara Stridsbergs Roman "Das große Herz" ging es um eine Kindheit, die überschattet war von einem depressiven Vater. Jetzt ist mit "Tauchsommer" ein Bilderbuch erschienen, in dem diese Geschichte, perfekt unterstützt durch die Bilder, auf 40 Seiten erzählt wird.
Es beginnt mit der lapidaren Feststellung:
Eines Tages war mein Papa einfach weg. Als hätte ihn jemand aus der Wirklichkeit herausgeschnitten. Am Frühstückstisch, wo er sonst saß, war jetzt ein Loch. Leseprobe
Der Vater von Zoe ist in eine psychiatrische Klinik gekommen, weil er offenbar selbstmordgefährdet ist. Das Kind darf ihn dort besuchen.
"Glaubst du, dass du wieder gesund wirst?", frage ich. "Ich weiß es nicht, Zoe." "Möchtest du nicht wieder nach Hause?", frage ich. Er denkt nach. "Ich weiß es nicht, ich bin hier so vielen wunderbaren Menschen begegnet." "Mir kommen sie oberkomisch vor", sage ich. Da muss er lachen. Es ist gut, wenn er lacht. Denn eigentlich ist er so traurig, dass er nicht länger leben will. Weshalb will man nicht mehr leben, wenn es doch Hunde und Schmetterlinge gibt und den Himmel? Wie kann man nicht länger leben wollen, wenn es doch mich gibt? Leseprobe
Ein paar Tage später schiebt der Vater einen Zettel unter seiner Zimmertür durch und verkündet, dass er keinen Besuch mehr wünscht. Seine Tochter macht sich trotzdem fast täglich auf den Weg zu ihm und lernt das Warten. Eine Frau, die auch in der Klinik lebt, spricht sie an. Es ist Sabina:
Sie sagt, dass sie mit mir warten kann. Wir treffen uns unter den Bäumen, Sabina und ich. Da trainieren wir. Von hier bis zum Meer ist es weit, aber das macht nichts. (…) Sabina ist jetzt meine Freundin. Wir treffen uns jeden Tag zum Schwimmen. Leseprobe
Die beiden erträumen sich das Schwimmen auf dem Trockenen.
Bilder von rätselhaft heiterer Melancholie
Sara Stridsberg erzählt eine tieftraurige Geschichte. Aber es ist auch eine Geschichte, die die seelischen Widerstandskräfte eines Kindes beschreibt. Vielleicht unterschätzen wir Kinder manchmal und könnten ihnen mehr zutrauen; vielleicht sogar die Wahrheit über die Dinge des Lebens zu erfahren.
Beim ersten Durchblättern mag man denken, dass das doch kein Kinderbuch sein kann. Aber für die Kinder, die ein solches Schicksal betrifft, kann es eben haargenau das richtige Buch sein. Die Bilder von Sara Lundberg sind von rätselhaft heiterer Melancholie geprägt und erlauben eine behutsame, liebevolle Sicht auf die Geschichte. Das Mädchen Zoe sagt zum Schluss:
Jetzt bin ich erwachsen. Mein Vater ist nie ganz glücklich geworden, und doch lief es letztlich ziemlich gut für ihn. Es gibt Menschen, die nie ganz glücklich werden. Egal, was man auch tut, sie sind immer ein bisschen traurig. Manchmal werden sie so traurig, dass sie im Krankenhaus leben müssen, bis es vorbei ist. Das ist nicht gefährlich. Ich weiß nicht, ob Sabina bis ans Meer gekommen ist. Aber ich werde nie vergessen, dass sie meine Freundin war in jenem Sommer, als mein Vater nicht mehr leben wollte. Leseprobe
Großartiger Text über ein wichtiges Thema
Viele Menschen haben zunehmend Mühe, dicke Bücher wirklich bis zum Ende zu schaffen, würden sich aber gern noch mit Literatur beschäftigen. Diese 40 Seiten sind ein großartiger Text über ein wichtiges Thema. Zusammen mit den Bildern ist es auch für Erwachsene eine sehr gute Lektüre - in ein makelloses, sanft klingendes Deutsch gebracht von Lukas Dettwiler.
Tauchsommer
- Seitenzahl:
- 40 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Schwedischen von Lukas Dettwiler; illustriert von Sara Lundberg
- Verlag:
- Karl Rauch
- Bestellnummer:
- 978-3-7920-0387-9
- Preis:
- 18 €