"Bauchlandung": Die Gefühlswelt einer schwangeren Jugendlichen
In Comics geht es lange nicht mehr nur um Superhelden und lustige Enten. Auch ernste gesellschaftliche Themen werden verhandelt. Die Schweizerin Wanda Dufner erzählt in "Bauchlandung", wie sie mit 17 ungewollt schwanger wurde.
Wanda Dufner war 17, als sie Mutter wurde. Die Schwangerschaft war nicht geplant und für Wanda geprägt von Schuldgefühlen, Verurteilungen von außen und Einsamkeit, aber auch von einem starken Kampfeswillen. Jetzt, 15 Jahre später, verarbeitet sie diese Zeit in ihrer Graphic Novel "Bauchlandung". Die Hauptfigur, die autobiografische Züge trägt, nennt Dufner Noemi.
"Ich bin doch noch ein Kind"
Noemi fühlt sich unwohl und unverstanden. Sie mag keine Berührungen, Sex ekelt sie an, und eigentlich geht sie davon aus, als alte Jungfer zu enden. Doch dann wird sie kurz vor ihrem 16. Geburtstag mit dem acht Jahre älteren Adi verkuppelt. Für einen ganz kurzen Moment ist Noemi glücklich. Sie stellt sich romantische Picknicks vor und träumt von Liebe und Geborgenheit.
Doch Adi behandelt sie schlecht, macht sie klein und fordert ungeschützten Geschlechtsverkehr ein. Noemi gibt nach und es passiert, was passieren muss: Sie wird schwanger. Auf den positiven Test folgt die große Beichte - immer und immer wieder. Ihre Eltern reagieren mit Wut, Schock und Enttäuschung, Lehrerinnen mit Überforderung, ihre beste Freundin macht sich Sorgen - nur ihre christlichen Großeltern freuen sich darüber, dass sie das Kind behalten will. Noch nie zuvor hatten die Menschen so viel Interesse an Noemi. Noch nie wurde sie so viel angeguckt, angesprochen. Noch nie redeten so viele Menschen mit ihr und über sie - noch nie fühlte sich Noemi einsamer.
Dufner schreibt teilweise autobiografisch
Entstanden ist die Graphic Novel aus einzelnen Comic-Strips, in denen Wanda Dufner ihre eigene Einsamkeit verarbeitet hat. Als Kolleginnen sie 2021 dazu ermutigen, mehr aus den Illustrationen zu machen, hört Dufner vom Comic-Stipendium der Deutschschweizer Städte Bern, Luzern, Zürich: "Das hat sich dann so gefügt, dass ich dachte: Okay, ich könnte da vielleicht meine Geschichte erzählen." Doch im Schreibprozess wird Dufner schnell klar: Ganz autobiografisch soll es nicht werden. Noemi ist nicht Wanda Dufner. "Es wäre mir sonst zu persönlich geworden. So konnte ich mich besser von der Geschichte abgrenzen und hatte mehr Freiheiten." Mit ihrem Comic-Projekt rund um Noemi, wird sie schon vor Veröffentlichung des Buchs Finalistin des Comicbuchpreises der Berthold Leibinger Stiftung.
Der komplexe Blickwinkel einer schwangeren Teenagerin
Auch die Charaktere rund um Noemi hat Dufner fiktionalisiert. Die Figuren der Eltern, Großeltern und Freundinnen werden dabei nicht gerade schmeichelhaft dargestellt. Dennoch waren die Reaktionen aus ihrem privaten Umfeld durchweg positiv: "Ich sehe sie immer wieder darin blättern und sagen: 'Ah, das hast du aber gut gezeichnet!' Das ist schön."
Im Buch geht es nicht nur um die lineare Abhandlung einer Teenie-Schwangerschaft. Dufner lässt die Leserinnen auf ein komplexes junges Leben blicken: "Viele Themen hatten Einfluss darauf, dass es überhaupt zur Schwangerschaft gekommen ist. Ich fand es deshalb wichtig, all das auch anzuschneiden, damit man den Blickwinkel verstehen kann." Dufner beschreibt im Buch, wie eine Essstörung und ein schlechtes Körperbild bei Noemi zu einem geringen Selbstwert führen. Sie zeigt eindrücklich, warum sich Noemi, getrieben durch die Hoffnung auf emotionale Nähe, auf die sexuellen Forderungen einlässt, für die sie sich nicht bereit fühlt, und wie ihre religiöse Erziehung ihr das Gefühl gibt, keine andere Möglichkeit zu haben, als die Schwangerschaft durchzuziehen und das Kind zu behalten.
Humor, Illustrationsstil und Details erleichtern die Lektüre
Bisweilen sind die Erzählstränge nur schwer auszuhalten - Noemi muss ohne Unterstützung auskommen. Sie fühlt sich einsam, wird ausgenutzt, misshandelt und schlecht beraten. Wanda Dufner zeigt damit die Realität vieler Personen in außergewöhnlichen Situationen: "Ich wollte aufzeigen, wie allein sie war. Das ist oft so, wenn jemand in solche Positionen kommt. Das kann dann niemand nachvollziehen." Und trotzdem muss man als Leserin immer wieder schmunzeln. Die detailreichen, bunten und humorvollen Illustrationen lassen immer wieder kurze Entdeckungspausen zu - eine Möglichkeit, die ein Roman in Textform nicht bieten würde. Für die 31-jährige Illustratorin war die Graphic Novel auch deshalb die beste Erzählform für ihre Geschichte: "Ich erzähle schwierige Themen und die kleinen bunten Details lockern es ein wenig auf."
Aber auch die zahlreichen kreativen gedanklichen Exkurse machen die kaum ertragbaren Situationen etwas leichter. Wenn beispielsweise auf den quälenden Gedanken, mit dem toxischen Exfreund durch das Kind für immer verbunden zu sein, eine Szene folgt, in der die beiden biologischen Eltern plötzlich zusammen in der Schwangerschaftsmaschine ein Baby kreieren, dann hat man als Leserin etwas Zeit, den vorherigen Teil der Geschichte zu verkraften.
Sich durch Bücher verstanden fühlen, wenn es sonst keiner tut
Dufner möchte mithilfe von Humor und Kreativität Brücken bauen und auch Menschen erreichen, die sich zum ersten Mal mit den Themen auseinandersetzen, "damit die auch nicht so geschockt sind." Als die Schweizerin Dufner selbst schwanger war, gab es kaum Bücher, Filme oder Serien, die Themen wie Teenagerschwangerschaften, toxische Beziehungen und Körperbilder behandelten. Das hätte sie sich damals aber dringend gewünscht: "Ich hätte mich dann gesehen gefühlt und auch nicht so viele Schuldgefühle gehabt, weil ich gewusst hätte, dass es noch andere Fälle wie mich gibt. Damals fühlte ich mich sehr alleine.
Bis zum Schluss muss Noemi Hürden überwinden - bis zum Schluss bleibt Wanda Dufner nah an der komplexen Realität einer komplexen Situation. Als Leserin möchte man direkt weiterlesen - wie meistert sie wohl das erste Jahr als Mutter und das zweite Jahr als Mutter zurück an der Schule? Dufner verrät, dass sie auch Lust darauf hätte, noch mehr von Noemi zu erzählen: "Ich könnte mir auch eine Geschichte davor vorstellen, als sie noch klein war. Das überleg' ich mir schon!"
Bauchlandung - Geschichte einer Teenager-Schwangerschaft
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Edition Moderne
- Bestellnummer:
- 978-3-03731-273-5
- Preis:
- 35 €
