"Arctic Mirage": Boshafte Demütigungen in einer Ehe
Die Musikerin Terhi Kokkonen hat mit dem Roman "Arctic Mirage" ein sehr erfolgreiches Debüt als Schriftstellerin vorgelegt. In Arctic Mirage" erzählt Terhi Kokkonen von männlicher Gewalt gegen Frauen, die von außen betrachtet harmlos und in scheinbar weißen Westen daherkommt.
Ehe der Roman überhaupt startet, erfährt man in einem Vorspann, dass eine Frau mit dem Namen Karo ihren Mann Risto erschlagen hat. Von da an möchte man durchaus erfahren, was sie wohl dazu getrieben haben könnte. Und genau diese tragische Geschichte wird dann aufgerollt.
Beide Eheleute verdienen gut, sie arbeiten in der Computer- und Werbebranche und könnten ein angenehmes Leben führen. Gemeinsam sind sie in den Winterurlaub nach Lappland gefahren, aber auf dem Rückweg kommt es zu einem Unfall. Karo saß am Steuer und sie ist überzeugt davon, dass sie einem anderen Fahrzeug ausweichen musste und daher in eine Schneewehe geraten ist. Nun versuchen sie das Beste aus ihrer Lage zu machen, warten auf die Reparatur des Autos und Besserung ihrer Blessuren in einem noblen Hotel mit allen möglichen Annehmlichkeiten. Allein zwischen den beiden ist nichts mehr angenehm und leicht. Der Eindruck entsteht, dass Risto latent aggressiv ist und versucht, seine Ehefrau wirklich kirre zu machen. Sie vermisst andauernd irgendetwas:
"Hast du meine Wollstrümpfe woandershin geräumt?", fragt sie. "Nein, mein Schatz", antwortet er mit dem Blick zum Kameradisplay. "Schon wieder ist was weg", sagt sie. Risto lacht kurz auf, sagt aber nichts. Leseprobe
Karo findet später jene Socken, die sie verzweifelt gesucht hat, tief unten in einer Mülltonne. Risto lässt zunehmend mit tausend kleinen boshaften Aktionen nichts mehr aus, um sie zu schwächen und zu demütigen. Das Auto, dem sie bei dem Unfall ausweichen musste, so behauptet er, habe es nicht gegeben. Seine seelischen Unterwanderungsversuche finden schleichend statt, Demütigungen, Verächtlichkeiten - immer knapp unter der Nachweisbarkeitsgrenze, scheinbar immer im Rahmen des Erlaubten.
Schwanger im Stich gelassen
Karo - so erfahren wir - hatte vor ihrer Beziehung mit Risto schon einmal eine Beziehung mit einem Mann, die ebenfalls desaströs endete. Es war eine Affäre mit ihrem Professor, der verheiratet war. Als sie ihm mitteilte, dass sie schwanger sei, ließ er sie im Stich. Auf ihre Bitte um Unterhalt für das Kind schrieb er:
Hallo Karo! Ich habe eine eigene Familie und ein eigenes Leben. Falls du noch einmal unsere Ruhe störst, werde ich einen Anwalt einschalten.
Sie hat sich damals nicht gewehrt gegen dieses Unrecht - auch ihrem Kind gegenüber. Weil sie sich gedemütigt fühlte, hat sie den Vater ihres Sohnes nicht angegeben. Später tat es ihr leid. Der Mann, den sie einmal geliebt, geschont und geschützt hatte, drohte ihr nun mit einem Anwalt. Karos Ehe mit Risto sollte ein Neuanfang sein.
"Arctic Mirage": Ein Roman über Gewalt gegenüber Frauen
Terhi Kokkonen erzählt von männlicher Gewalt gegen Frauen, die von außen betrachtet harmlos und in scheinbar weißen Westen daherkommt. Zeit, sich nicht mehr für alles Mögliche selbst die Schuld zu geben, sondern sich zur Wehr zu setzen, wäre für Karo lange vor ihrem Gewaltakt gegen Risto gewesen, mit dem sie sich schließlich selbst beschädigen wird. In dem Roman "Arctic Mirage" wird das ganze Drama temporeich, nuanciert und intelligent aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt.
Arctic Mirage
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27959-9
- Preis:
- 23 €