Psychische Gewalt in Beziehungen
Häusliche Gewalt muss nicht immer mit Schlägen oder sexuellen Übergriffen zu tun haben. Auch psychische Gewalt kann sehr zerstörerisch sein. Wie können Opfer sich daraus befreien?
Silke Weber* ist eine gestandene Frau. Sie ist selbstständige PR-Agentin und Mutter einer Tochter. Vor rund fünf Jahren verliebt sie sich in einen Mann. Auch er strahlt Stärke aus - in einer Zeit, in der es ihr nicht besonders gut geht, findet sie das umso anziehender. Der Mann hat ebenfalls Kinder, zwei jüngere Söhnen aus einer früheren Beziehung. "Er hat mich auf Händen getragen. Aber er hat die Kinder ganz schlimm behandelt. War oft wütend, hat ganz viel mit ihnen geschimpft, und wenn ich nicht da war, hatten sie Angst", erzählt Silke Weber.
Wutanfälle und Ausreden
Obwohl die Stimmung im Haus oft angespannt ist, zieht Silke Weber mit ihrer Tochter bei ihrem neuen Freund und den Jungs ein. Sie versucht, seinen Wutanfällen etwas entgegenzusetzen - ohne Erfolg. "'Wenn du mich wirklich liebst, dann kannst du das auch aushalten. Du siehst doch, ich wachse, ich tu doch was. Dann kannst du das auch aushalten. Ich bemühe mich doch ganz viel', hat er gesagt und ich dachte: 'Stimmt, der bemüht sich auch ganz viel'", beschreibt Silke Weber seine Beschwichtigungen. Als sie für ein Wochenende allein mit ihrer Tochter verreisen will, flippt er zum ersten Mal auch ihr gegenüber aus. Er wirft ihr vor, ihn nicht zu lieben, überschüttet sie mit Vorwürfen.
Sorgen der Freunde
Auch Silke Webers Freunde bekommen mit, was in ihrer Beziehung los ist. Sie machen sich Sorgen: "'Der ist doch gewalttätig, tut der dir was?' Und ich habe gesagt: 'Der tut mir doch nichts'. Und ich war stolz. Ich hatte das im Griff. Erst später wusste ich, dass er seinen Exfrauen auch körperlich was angetan hat. Aber das hätte er sich bei mir nicht getraut. Und ich hatte das Gefühl: Ich schaffe das. Ich sorge dafür, dass das gut geht. Ohne zu merken, dass ich schon am Ende war."
Körper schlägt Alarm
Silke Weber wird krank, liegt andauernd mit Grippe flach und bekommt zuletzt eine Lungenentzündung. Irgendwann begreift sie, dass ihr Körper Alarm schlägt - dass es die Beziehung ist, die sie krank macht. Als sie dem Mann sagt, dass sie ihn verlassen will, lässt er sie nicht gehen. "Es war ein großes Drama, er hat viel geweint. Er hat bei unseren Streits immer geweint und ich dachte, 'oh Gott, er kann ja ohne mich nicht, ich muss dann doch bleiben'. Das war auch emotionale Erpressung. Wenn einer so zusammensackt, ein Mensch, der so viel Stärke ausstrahlt, dann habe ich immer das Gefühl, ich muss den beschützen.“
Silke Weber bleibt, und der Psychoterror nimmt zu, ihr Freund kontrolliert sie, durchwühlt ihre Sachen. Sie fühlt sich regelrecht handlungsunfähig, ist völlig erschöpft, erinnert sie sich.
Hilfe von Freunden und Beratungsstellen
Eine Freundin nimmt die Sache in die Hand und verfrachtet Silke Weber und ihre Tochter in eine Ferienwohnung. Der Mann bombardiert sie fortan unter anderem per Whatsapp mit Vorwürfen. Silke Weber sucht Unterstützung in der Lübecker Frauenberatungsstelle Aranat und schafft es mit Hilfe der Sozialpädagogin Martha Deegen, aus der Beziehung heraus.
Martha Deegen glaubt, dass psychische Gewalt in vielen Beziehungen vorkommt. Zur Anzeige kommen wohl die wenigsten Fälle. "Körperliche Gewalt ist auf eine andere Art und Weise sichtbar und nachweisbar", erklärt sie. Zwar gebe es auch für Mobbing und Stalking eine Gesetzgebung. Aber da sei es in Bezug auf Zeugen schwerer. "Das ist noch mal ein schwierigerer Weg."
Der Abstand zu dem Mann und dem Haus tut Silke Weber gut, sie erholt sich. Irgendwann schafft sie es, nicht mehr auf seine Nachrichten zu reagieren. Und mittlerweile weiß sie, warum sie es solange in dieser Beziehung ausgehalten hat: "Ich habe mir oft Beziehungen gesucht, wo ich mein Helfersyndrom ausleben konnte. Wo es nicht um Beziehungen auf Augenhöhe ging. Und das ist mir durch die Beziehung und diese Trennung bewusst geworden."
* Name von der Redaktion geändert.