Anspruchsvoll und poetisch: Han Kangs Roman "Griechischstunden"
Han Kangs "Griechischstunden" handelt von einer Frau, die das Sprechen eingestellt hat. Die Protagonisten in diesem Roman sind sehr in sich gekehrt, ihre Gedanken sind durchtränkt von philosophischen Überlegungen.
Ein Altgriechisch-Kurs in Seoul. Der Lehrer ermuntert eine seiner Schülerinnen vorzulesen, was an der Tafel steht.
Sie bewegt die Lippen. Mit der Zungenspitze befeuchtet sie die Unterlippe. Sie sitzt da und knetet die Hände. Es ist mucksmäuschenstill. Sie öffnet den Mund und schließt ihn gleich wieder. Leseprobe
Da kommt nichts. Die Frau spricht nicht. Dabei ist sie weder stumm noch besonders schüchtern. Sie hat das Sprechen einfach eingestellt. Sie ist deswegen in Therapie. Wenn der Therapeut etwas sagt, worauf sie reagieren muss, dann schreibt sie es ihm auf. Sprache und Sprechen, das sei ein mangelhaftes Konzept, erzählt Han Kang in einem Interview mit PEN America: "Sprache ist unzuverlässig. Wenn man sehr exakt sein möchte, dann versagt man jedes Mal. Es ist, als würde man mit Pfeil und Bogen schießen, aber das Ziel jedes Mal verfehlen. Damit muss ich umgehen."
Erblindender Lehrer liebt schweigende Schülerin
Die fehlende Sprache hat für die Heldin durchaus Folgen. Das Sorgerecht für ihren Sohn hat sie auch deswegen verloren. Der Roman hält sich aber nicht viel mit der Psychologisierung des Problems auf. Ein schlankes Buch, passenderweise könnte man sagen: Nur das Nötigste wurde hier aufgeschrieben, damit man folgen kann. Und dennoch ist Platz für einen zweiten Helden: den Griechischlehrer - mit deutscher Vergangenheit.
In diesem unsäglichen Land muss man sogar Fremde anlächeln. Ich mag nicht mehr lächeln. Ich möchte nach meiner Vorstellung leben. Ich lächle nicht mehr, auch daheim nicht. Leseprobe
So erinnert sich der Griechischlehrer an 15 Jahre, die er mit seiner Familie in Mainz verbringt und in denen sie nie so richtig in Deutschland ankommen. Nach Südkorea kehrt er zurück, weil er nach und nach sein Augenlicht verliert. Im Land seiner Muttersprache sei es einfacher mit seiner Beeinträchtigung. Er entwickelt Gefühle für die schweigende Schülerin.
"Griechischstunden": Ein Roman der poetischen Sprache
"Griechischstunden" ist ein ziemlich anspruchsvoller Text. Denn die Protagonisten sind sehr in sich gekehrt, ihre Gedanken sind durchtränkt von philosophischen Überlegungen. Auch formell ist es nicht ohne. Während die Schülerin in der dritten Person geschrieben ist, also über sie geschrieben wird, ist der Griechischlehrer als Ich-Erzähler angelegt. Ihr fehlen schließlich die Worte, also schreibt Han Kang über sie. Er dagegen ist offener, kann seine eigene Geschichte erzählen.
Es ist ein Roman der reduzierten, aber poetischen Sprache. Über allem hängt ein Hauch von Verlust. Und die Schwierigkeit auszudrücken, was das mit den Figuren macht. Für manche dürfte das kalt und distanziert wirken, andere werden sicher vieles zwischen den Zeilen entdecken.
Griechischstunden
- Seitenzahl:
- 204 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee
- Verlag:
- Aufbau
- Bestellnummer:
- 978-3-351-03792-5
- Preis:
- 23 €