Collage der Buchcover von Ziblatt/Levitsky "Tyrannei der Minderheit" und  Lewandowsky "Was Populisten wollen". © DVA und Kiepenheuer & Witsch
Collage der Buchcover von Ziblatt/Levitsky "Tyrannei der Minderheit" und  Lewandowsky "Was Populisten wollen". © DVA und Kiepenheuer & Witsch
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Populisten und wie sie die Demokratie gefährden - zwei Buchtipps

Stand: 01.06.2024 13:26 Uhr

Zwei Bücher setzen sich im Superwahljahr 2024 mit den Erfolgen rechter Parteien auseinander. Die Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt stellen eine "Tyrannei der Minderheit" fest, der deutsche Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky zeigt auf, "was Populisten wollen". 

von Claas Christophersen 

Der Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt blickt eigentlich optimistisch auf die Entwicklung westlicher Gesellschaften. Der US-Amerikaner arbeitet seit drei Jahren neben seiner Professur in Harvard auch am Wissenschaftszentrum Berlin. "Wenn man es mit den 1970er-Jahren vergleicht, sieht man, dass die öffentliche Meinung gegenüber Diversität und so weiter in der amerikanischen Gesellschaft viel liberaler geworden ist", sagt Ziblatt. "Natürlich gibt es eine Gegenreaktion, die sehr stark ist. Ich bin nicht naiv."

Die Macht der Minderheit

Dabei hätten die Republikaner - Trumps Partei - in den letzten Jahrzehnten meist weniger Wählerstimmen als die Konkurrenz von den Demokraten erhalten. Diese Beobachtung steht im Mittelpunkt des Buches "Die Tyrannei der Minderheit", das Daniel Ziblatt zusammen mit seinem Harvard-Kollegen Steven Levitsky geschrieben hat. Ihr Argument: Eine Reihe von Regeln und Gremien verhindere, dass sich der Wille der Mehrheit durchsetze - etwa das "Wahlmännerkollegium", das den US-Präsidenten letztlich bestimmt. Es richtet sich nach dem Votum der Wählerinnen und Wähler. Aber bevölkerungsreiche Einzelstaaten sind darin unterrepräsentiert. Zugleich schreiben Ziblatt und Levitsky, dass Demokratieabbau in anderen Ländern eher durch willkürliche Mehrheits-Entscheidungen stattfinde.  

Demokratie braucht Gleichgewicht

"Man kann auf verschiedenen Wegen krank werden, kann man sagen. Und so ist es auch bei Demokratien. Bei uns haben wir dieses Problem, dass die Mehrheiten einfach nicht genug Kraft haben zu regieren. Und um eine Demokratie stabil zu halten, muss man sozusagen ein Gleichgewicht haben", stellt Ziblatt fest. Was antidemokratische Kräfte tun, wenn sie an der Macht sind, beschreiben die Politikwissenschaftler sehr treffend: 

Der demokratische Rückschritt erfolgt nach und nach durch vernünftig erscheinende Maßnahmen: neue Gesetze, die scheinbar dafür gedacht sind, Wahlen sauber zu halten, Korruption zu bekämpfen oder die Justiz effektiver zu gestalten. Da die Maßnahmen die Maske der Legalität tragen, scheint sich wenig geändert zu haben. Aber Schritt für Schritt und manchmal fast unsichtbar neigt sich die Waage. aus: Ziblatt/Levitsky "DieTyrannei der Minderheit"

Der angebliche "wahre Volkswille"

Wie autokratische Parteien und Führungsfiguren freiheitliche und demokratische Gepflogenheiten demontieren, das zeigt auch der deutsche Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky in seinem Buch "Was Populisten wollen". Es handelt zum großen Teil vom rechten Rand. Aber populistische Parteien könnten auch von links kommen, betont Lewandowsky. Das Selbstverständnis gleiche sich jedenfalls. Immer gehe es darum, einen angeblich "wahren Volkswillen" zu vollziehen.

Populistische Parteien sprechen diejenigen an, die sich für die wahren Demokraten halten (aber oft keine sind), die glauben, nicht in einer Demokratie zu leben (obwohl sie es tun), und die "echte" Demokratie wollen (die in Wahrheit keine wäre).  aus: Lewandowsky "Was Populisten wollen"

Keine Mehrheit für populistische Forderungen

Lewandowsky verweist darauf, dass sich die Menschen bei Volksabstimmungen in US-Bundesstaaten in den meisten Fällen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten. Es gab also keine Mehrheit für populistische Forderungen. Auch Daniel Ziblatt und Steven Levitsky führen dieses Beispiel in ihrem Buch an. Manchmal allerdings bekommen rechtspopulistische Parteien eine Parlamentsmehrheit, so wie in Ungarn. Damit hätten sie aber keinen Freibrief in der Hand, um demokratische Spielregeln abzuschaffen, argumentiert Marcel Lewandowsky überzeugend. 

Das Volk in der Demokratie soll souverän sein. Doch wenn die Mehrheit zu jedem Zeitpunkt uneingeschränkt herrschen dürfte, könnte sie die Demokratie einfach abschaffen. Um das zu verhindern, gibt es Verfassungen. Die Demokratie schützt sich auch vor schlechten Gewinnern, die ihr erworbenes Mandat nutzen wollen, um die Grundregeln zu ihren eigenen Gunsten zu ändern.  aus: Lewandowsky "Was Populisten wollen"

Wie mit Populisten umgehen?

Für Marcel Lewandowsky gehen rechtsextremistische Einstellungen und Populismus miteinander einher, aber nicht unbedingt ineinander auf. Deswegen zögert er, die AfD als faschistische Partei einzustufen. Dabei mehren sich die Anzeichen dafür in den letzten Jahren. Trotzdem hat Lewandowsky ein elegant und eingängig formuliertes Buch über Populismus geschrieben. Dagegen anzugehen, werde für die demokratischen Parteien nicht leicht. Aber die Grundstrategie, die Lewandowsky empfiehlt, klingt klug. 

Es geht darum, ökonomische, ökologische, soziale Transformation als Krisenmanagement zu begreifen. Die Umbrüche, in denen wir uns befinden, können am Ende auch die Demokratie selbst ins Wanken bringen. Schafft die Politik es, ein individuelles und kollektives Gefühl von Sicherheit in Krisenzeiten zu vermitteln, könnte die Abwehr der populistischen Versuchung gelingen.   aus: Lewandowsky "Was Populisten wollen"

Die Harvard-Politologen Ziblatt und Levitsky sagen in ihrem Buch "Die Tyrannei der Minderheit" ganz klar, wie demokratische Politiker mit Extremisten umgehen sollten. "Sie müssen Wahlergebnisse akzeptieren, ganz egal, ob sie gewonnen oder verloren haben. Sie müssen Gewaltanwendung ablehnen. Und sie müssen alle verurteilen, die eines von beidem nicht tun, selbst wenn diese dem eigenen politischen Lager angehören", erklärt Ziblatt. 

Schlüssige und kenntnisreiche Begründungen

Außerdem fordern die Wissenschaftler Reformen, wie die Garantie des Wahlrechts in der US-Verfassung, die es bisher nicht gibt. Ziblatt und Levitsky wollen, dass sich die Mehrheit in den USA besser durchsetzen kann. Das begründen die Autoren schlüssig, kenntnisreich und eindrucksvoll. Damit konzentrieren sie sich auf das politische System. Der Fokus des deutschen Politikwissenschaftlers Marcel Lewandowsky ist weiter. Er analysiert, wie sich populistische Anführer erfolgreich in Szene setzen. So ergänzen sich beide Bücher gut und zeigen, was in Zeiten extremistischer Bedrohungen auf dem Spiel steht.   

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NDR Kultur | Nachrichten | 30.05.2024 | 09:00 Uhr

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