"Himmel hilf!": Willkommen in der Welt des Aberglaubens!
Der Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski hat die Geschichte des Aberglaubens aufgeschrieben. "Himmel hilf!" heißt das Buch, das zeigt, dass Aberglauben schnell mehr und ernster werden kann als nur witzige Spässeken.
Immer wieder geht es den Tieren an den Kragen, wenn der Mensch abergläubisch ist. Tillmann Bendikowski hat Rituale aus mehreren Jahrhunderten gesammelt. Die schwarze Katze, die angeblich Unglück bringt, wenn sie vorbeigeht, ist ja noch harmlos. "Ich erinnere mich an Hunde, die bei Bauvorhaben lebendig begraben wurden, oder an den bemitleidenswerten Maulwurf, dem zuweilen eine Pfote abgebissen wurde", erzählt Tillmann Bendikowski. "Das sollte bei Krankheiten helfen. Ob es dem Menschen geholfen hat, wissen wir nicht. Dem Maulwurf hat es bestimmt nicht geholfen."
Aberglaube als Mittel gegen Ängste
Die heute verehrte Kirchenfrau Hildegard von Bingen rät bei Vergiftung, sich den Huf eines Einhorns zu besorgen: Das Buch nennt eine Fülle von Beispielen - eines skurriler als das andere. Es gibt Prozessionen, bei denen Blut getrunken wird. Da werden Amulette gezimmert und Tierpfoten bei Zahnschmerzen um den Hals gehängt.
Das liest sich irre, aber Bendikowski macht sich nicht lustig über die Menschen damals. Das waren Menschen, die jeden Tag in Todesangst lebten: Pest, Kriege, Missernten! Sie suchten sich Wege, um ihrer Angst zu begegnen. Was würden wir tun, wenn wir hoffnungslos wären?
"Die Menschen nutzten alle spirituellen Angebote, die ihnen zur Verfügung standen", erklärt Bendikowski. "Man konnte in der Not in die Kirche gehen. Man konnte auch das nutzen, was die magische Welt zur Verfügung hatte. Man konnte Regen zaubern oder einem Kind etwas in die Wiege legen, damit es nie hungern müsste. Die Rituale waren viel vielfältiger als heute und durchzogen von religiösen und sogenannten abergläubischen Inhalten."
Die gefährliche Seite des Aberglaubens
Der Glaube an eine magische Welt trieb auch skurrile Blüten - gefährliche Blüten, sagt Bendiwkoski: "Der Aberglauben hatte auch immer eine aggressive Seite. Gerade der Vorwurf, dass man anderen Menschen etwas angetan hat mit seinen magischen Fähigkeiten -denken Sie an die 'Frauen mit dem bösen Blick', die Hexen. Das konnte dazu führen, dass Gewalt frei gesetzt wurde." Auch gegen Minderheiten - immer wieder zum Beispiel gegen Juden. Judenhass fußt auf sehr altem Aberglauben.
In dem Buch geht es auch darum, wie fließend die Grenzen sind zwischen Glaube und Aberglaube ist. Wenn der katholische Priester vor dem Altar stand und auf lateinisch zelebrierte "Hoc est enim corpus meum" - auf Deutsch "Das ist meinem Leib" -, dann klang das in der letzten Reihe einer Kathedrale wie "Hokuspokus". Da kommt das her.
"Himmel hilf!": Anekdoten aus Vergangenheit und Gegenwart
Bendikowski erzählt Alltagsanekdoten - wie als vor 100 Jahren ein St. Paulianer beim Amt erreichen wollte, dass sein Haus nicht mehr die Hausnummer 13 hat, weil er es nicht vermietet bekam. Er geht auch in die Gegenwart und fragt: Wie viel Aberglaube steckt in Horoskopen, wie viel in Homöopathie? Auch heute gibt es eine Menge Aberglauben in unserer aufgeklärten Gesellschaft.
In der Corona-Pandemie hat sich das magische Milieu politisch radikalisiert, sagt Bendiwkoski: "Wir haben es mit Menschen zu tun, die evidenzbasierte Wissenschaftlichkeit ablehnen, die Intellektualität und Vernunft ablehnen. So zeigt sich, dass magisches Denken politisch relevant ist. Wir haben hier viele Menschen, die sich auf ihr magisches Denken beziehen und für unsere Vernunftargumente nicht mehr erreichbar sind."
Bendikowski erzählt das alles in einer klaren, schnörkellosen Sprache. Es ist ein spannendes, unterhaltsames Buch, bei dem man sich wieder selbst fragt: "Wie viele Aberglauben steckt eigentlich in mir?"
Himmel hilf!
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- C. Bertelsmann
- Veröffentlichungsdatum:
- 13. September 2023
- Bestellnummer:
- 978-3-570-10496-5
- Preis:
- 25 €