Wole Soyinka: Erster afrikanischer Literaturnobelpreisträger ist 90 Jahre
Wole Soyinka war der erste Afrikaner, der 1986 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er schrieb Theaterstücke, Gedichte, Romane und auch Lieder. Nun ist er, der Mann mit dem wallenden weißen Haar, 90 Jahre alt.
Schon als kleiner Junge ahnte Wole Soyinka, dass er Schriftsteller werden könnte. Er war fasziniert von der Welt der Bücher. In seinem Elternhaus, sein Vater war Rektor einer Volksschule, lagen sie überall herum. Lesen zu lernen, das war sein Traum. Und so schnappte er sich eines Tages einen großen Stapel davon, zog etwas an, was für ihn wie eine Schuluniform aussah und folgte heimlich seiner Schwester Tinu zur Schule.
Ich wartete an der Tür, beobachtete, wo Tinu sich hinsetzte und schlüpfte dann auf den Platz in der Bank neben ihr. Ich schien für jedermann der Gegenstand größter Belustigung zu sein. Sie schauten mich an, zeigten mit Fingern auf mich, hielten sich die Seiten und bogen sich vor Lachen:
"Willst Du Deiner Schwester heute Gesellschaft leisten?"
"Nein, ich will von jetzt an in die Schule gehen."
"Aber Du bist noch nicht alt genug, Wole."
"Ich bin fast drei. Jedenfalls will ich in die Schule gehen."
Wole Soyinka in seinen Kindheitserinnerungen "Aké" 1981
Kreativität gegen die Ungerechtigkeit in Nigeria
Eine Welt voller Wunder, in der das Christentum seiner Eltern und die afrikanischen Gottheiten seiner Ahnen, der Yoruba, eine große Rolle spielten. Ogún, der Yoruba-Gott der Schöpfung und der Zerstörung wurde zu seinem vielleicht wichtigsten Bezugspunkt: "Ogún ist für mich eine Metapher. Ich fühle mich eins mit den Kräften, für die Ogún steht: Die Kraft der Kreativität. Die Welt der Mythologie und der Poesie und auch, leider, die Welt des Kampfes."
Denn Soyinka nutzte schon früh seine Kreativität, um gegen die Ungerechtigkeit in Nigeria zu protestieren. Mit Theaterstücken, in denen er die Heuchelei der christlichen Erweckungsprediger anprangerte - ganz besonders in seiner Figur des Predigers Jero. Mit satirischen Liedern wie diesem, in dem es ironisch heißt "Ich liebe mein Land", und mit politischen Performances: Nach einer Aufführung in Lagos, mit der er gegen die Preiserhöhung der Lebensmittel protestierte, stapelten er und seine Mitspieler Säckeweise Reis vor dem Parlament auf - und entkamen nur knapp der Polizei.
Wole Soyinka: Einer der bekanntesten Bürgerrechtler Nigeria
Schnell wurde Soyinka zu einem der bekanntesten Bürgerrechtler des Landes. Auch im sogenannten Biafra-Krieg, der nach dem Militärputsch 1966 begann, setzte er sich lautstark für den Frieden ein - und wurde verhaftet. Zwei Jahre verbrachte Soyinka im Gefängnis, eingesperrt in einer Einzelzelle. Diese Zeit hat er in seinem Buch "Der Mann ist tot" verarbeitet - und in seinen Gedichten.
Sprich, friedfertige Liebe
Falls Liebe den Peitschenschlag überlebt, Verachtung
Die zum Schweigen gerbachten Aufschreie auf blutnassen Straßen
Sprich, wenn Liebe die Schrift an der Wand überdauert
in verborgenen Zellen aus Mauerwerk des Todes.
Auszug aus "Ogún"
Natürlich habe er sich einmischen müssen, sagte Soyinka nach seiner Freilassung. Krieg sei ein Problem der Menschheit und er sei nun einmal ein Mensch.
Soyinkas Werke geprägt von tiefer Menschlichkeit
Auch seine Werke sind geprägt von einer tiefen Menschlichkeit. Sie erzählen von dem Versuch, Mensch zu bleiben in einer Welt, die von Grausamkeit geprägt ist. Dabei verbindet Soyinka westliche Stoffe wie jenen von Orpheus und Eurydike mit afrikanischen Traditionen. So gelingt es ihm, vom Drama der menschlichen Existenz zu erzählen, lobte die Schwedische Akademie, die ihn 1986 mit dem Literaturnobelpreis auszeichnete.
Er könne Alfred Nobel die Erfindung des Dynamits verzeihen, nicht aber diesen Preis, sagte Soyinka anschließend, denn seit der Auszeichnung kommt er kaum noch zum Schreiben: Zwischen seinen Romanen "Isara" und "Das glücklichste Volk der Welt" lagen mehr als 30 Jahre.
Traum von einer besseren und friedlichen Welt
Stattdessen nutzt Soyinka seine Popularität, um sich für Frieden und den Schutz von Flüchtlingen einzusetzen. 1998 besuchte er dafür auch Hannover, um dort ein Aufenthaltsstipendium für verfolgte Schriftsteller ins Leben zu rufen. Und auch mit fast 90 Jahren kommentiert und kritisiert er regelmäßig die Politik in seinem Heimatland Nigeria.
Seinen Traum von einer besseren, friedlichen Welt, hat er bereits 1973 in Worte gefasst: In seinem Buch "Zeit der Gesetzlosigkeit" beschreibt er das Dorf Aiyéro, eine Utopie. Aber eine, die, so hofft er, vielleicht doch noch eines Tages Wirklichkeit werden kann: Wenn alle Religionen lernen, die anderen zu respektieren.