"Where The World Is Melting" von Ragnar Axelsson
Ragnar Axelsson gehört zu den herausragendsten Natur- und Reportagefotografen unserer Zeit. Der Bildband "Where The World Is Melting" präsentiert seine eindrucksvollsten Fotografien. In den Deichtorhallen startet eine dazugehörige Ausstellung.
Man sieht eine weite glatte Schneefläche. Zwei Eisberge durchbrechen spitz den Horizont. Der wolkenlose Himmel verläuft grau. Von rechts blickt ein Schlittenhund ins Bild: traurig wirkt er, aber mit einem leichten Schmunzeln im Mundwinkel. Schon das Cover des Bildbandes mit seiner ruhigen und grafisch gestalteten Bildsprache fängt den Betrachter ein.
Ragnar Axelsson ist gerade mal zehn Jahre alt, als ihm sein Vater eine Leica in die kleinen Hände drückt. Auf einem Bauernhof fotografiert er damit die Menschen, die Landschaft Islands und die Vögel: "Das sind die besten Bilder die ich je gemacht hab´ (lacht). Da hab´ ich entschieden, das ist es, was ich im Leben machen möchte - Bilder machen. Dann wollte ich wie ein Vogel fliegen und Pilot werden, also hab´ ich beides gelernt."
Begegnungen mit Mensch, Natur und Tier aus mehr als 50 Jahren
Es zieht ihn immer raus in die arktischen Gebiete Grönlands, der Färöer und zu den Gletschern. Besonders die Menschen die dort trotz aller widriger frostigen Umstände leben - kaum von der Welt wahrgenommen: "Ich möchte diesen Menschen eine Stimme geben, sie mit Respekt behandeln und nicht nur ein Foto machen und abhauen - ohne Danke zu sagen. Sie haben mir ihre Geschichten erzählt und ich habe sie aufgeschrieben."
Das Buch umfasst Begegnungen aus mehr als 50 Jahren - immer in Schwarzweiß. Von den Anfängen als 10-jähriger Steppke bis zu seinen letzten Touren im vergangenen Jahr - aufgeteilt in acht Kapitel. Egal, ob er lebenslustige Teenager auf den Färöer Inseln trifft, Jäger auf Grönland begleitet oder Bauern in Sibirien besucht, Ragnar Axelsson hält behutsam die Momente fest. So erzählen seine Bilder in stiller Art von der Tristesse, den Träumen, der Zuneigung, der Härte und dem Willen dieser Menschen: "Mein Redakteur sagte mir mal, als ich bei der Zeitung angefangen hatte: ‘Du hast einen Spiegel, du solltest die Welt spiegeln und nicht dich.’ Und was passiert, wenn du Instagram siehst, oder was auch immer, du siehst Leute wie sie ihren Hintern vor einem Wasserfall räkeln. Das hat nichts mit Realität zu tun. Du hast zu zeigen, was in der Welt passiert."
Axelsson erkennt Momente und Kontraste
Der Klimawandel lässt das Eis der Arktis dünner werden und Gletscher schmelzen. Nicht in der Zukunft, sondern schon jetzt. So wurde dem isländischen Okjökull vor drei Jahren der Gletscher-Status aberkannt - zu dünn ist er geworden: "Ich musste es fotografieren, weil sich der Gletscher verändert. Und das habe ich dann auch getan und ins Buch gesteckt. Alles ändert sich: Dinge, Menschen ändern sich in 25, 30 Jahren und sterben. Und ich erzähle eigentlich die Geschichten, die sie mir erzählen. Und selbst wenn es für mich nichts verändert, wird jemand in hundert Jahren denken: Ach da war was."
Axelsson dokumentiert allerdings nicht um der Dokumentation Willen. Er hört den Menschen mit seiner Leica zu, erkennt Momente und Kontraste. Daraus entsteht eine große Kunst. Eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Ragnar Axelsson ist ein Meister darin. Und wenn man das Buch am Ende zuklappt, erkennt man, dass die Rückseite die Fortsetzung des Covers ist und ein anderer Schlittenhund wachsam in die Ferne blickt.
Where the World is melting
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Zusatzinfo:
- Verlag:
- Kehrer Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-96900-064-9
- Preis:
- 49,90 €