Tim Vollert: "Mit Physik auf der Suche nach dem Sinn des Lebens"
Angesichts unvorstellbaren Alters unseres Universums scheint ein einzelnes Menschenleben darin nahezu bedeutungslos. Ist es aber nicht, widerspricht der Wissenschafts-Influencer Tim Vollert im Gespräch.
"Wir sind nicht lediglich Bewohner dieses Universums. Wir sind ein Teil davon," sagt Tim Vollert. Denn wir bestehen aus genau der Materie, die beim Urknall entstanden ist - bis heute. Atom für Atom. Und wir werden es immer bleiben. Mit der Verbreitung solch faszinierender Gedanken ist der 24-jährige Physikstudent aus Göttingen zum Social-Media-Star geworden.
Jetzt ist Tim Vollert in Buchform erschienen: "Mit Physik auf der Suche nach dem Sinn des Lebens" - und nach nur vier Wochen ein SPIEGEL-Bestseller. Tim Vollert schreitet darin die gesamte Geschichte des Kosmos' aus, vom Anfang bis in ein paar Billionen Jahren. Er beschreibt wie es vor 4,5 Milliarden Jahren durch Gravitationskräfte zur Entstehung der Erde kam und wie darauf vor 350.000 Jahren der Homo sapiens entstand. Dass dabei anderes als Naturgesetze bestimmend gewesen sein könnten, schließt Tim Vollert im Gespräch mit Jürgen Deppe aus.
Ob in einem solchen Erklärungsmuster Platz für eine schöpferische oder spirituelle Kraft ist, bleibt den Leser*innen, User*innen oder Hörer*innen selbst überlassen. Zu trösten weiß Vollert allemal: "Sie sind die Summe Ihrer Teilchen. Das ist keine Abwertung Ihrer Person, sondern eine Aufwertung. Zwar sind Sie vergänglich und die Teilchen, aus denen Sie bestehen lassen sich herunterbrechen oder umwandeln, jedoch werden die elementarsten Bauteile, welche der Ursuppe des Urknalls entstiegen sind, immer da sein. Für den Rest der Lebenszeit unseres Universums. Und in dieser Ursuppe waren Sie wahrhaftig vereint mit dem ganzen Kosmos."
Ihr gerade erschienenes Buch heißt "Mit Physik auf der Suche nach dem Sinn des Lebens". Ganz ehrlich, wenn ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens bin, dann käme ich wahrscheinlich als letztes auf Physik.
Tim Vollert: Viele Menschen haben immer wieder gesagt, dass sie als letztes daran denken. Was ich ganz häufig bei Buch-Touren gehört habe, ist, dass man gesagt hat. Der Tim hat über den Sinn des Lebens geschrieben und da geht er jetzt mit einem ganz neuen Ansatz, mit der Physik ran. Aber eigentlich, wenn wir ein bisschen länger darüber nachdenken, ist das ja wahnsinnig. Es gibt ja kein Zweites neben der Physik, was gerade unsere Realität kontrolliert. Die Tatsache, dass wir beiden gerade hier reden können, liegt daran, dass wir eine klitschige Masse oben in unserem Gehirn haben, welche mit circa 20 Watt Ladung zwischen 84 Milliarden Neuronen funktioniert. Das ist alles Physik.
Die Tatsache, dass wir sehen können, weil Photonen gerade unsere Augen erreichen, ist Physik. Jeder einzelne Gedanke, den wir fassen können und jede Wahrnehmung um uns herum. Aber eben auch unsere ganze Realität. Wir sitzen gerade auch in einer Raumzeit, die gefüllt ist mit der Materie, die mal aus Elementarteilchen bestand, die im Urknall entstanden sind - alles Physik. Wenn wir die normalen Fragen des Alltags beantworten wollen, dann sagen wir: Das macht die Physik, das macht die Wissenschaft, klar. Die Biologie und die Chemie gehören da natürlich auch rein. Aber sobald es um den Sinn des Lebens geht, da müssen es dann Philosophie oder womöglich Gott für uns regeln - zwei Konzepte, denen wir niemals den Grundaufbau der Atome anvertrauen würden.
Wenn Sie physikalisch vorgehen, gehen Sie vor allem in den Makrokosmos. Also auf die mindestens 93,3 Milliarden Lichtjahre, die das Universum umfasst, eine unvorstellbare Größe. Wie passt da der Mensch rein und die Suche nach dem Sinn des Lebens?
Vollert: Zeitlich ist es wortwörtlich unvorstellbar. Diese großen Zahlen kann das Gehirn gar nicht verarbeiten. Wenn wir generell einen Sinn des Lebens suchen und den Menschen komplett in den Mittelpunkt stellen würden, dann wäre das ja egozentrisch und naiv. Weil wir kommen an dieser Wahrheit nicht vorbei, dass wir tatsächlich sehr, sehr winzig in einem großen Kosmos sind. Wenn wir über den Sinn des Lebens reden, dann muss man sich das vorstellen, als wenn wir ein Zahnrad oder Knopf an einer Maschine wären. Das Universum ist 13,8 Milliarden Jahre alt, aber es wird noch viele weitere existieren.
Für einen winzig kurzen Augenblick dazwischen existieren wir gerade mit unserem Bewusstsein. Und wir bauen die Sinnesfrage darauf auf: Warum existieren wir gerade? Warum haben die gleichen Naturgesetze, die schwarze Löcher erschaffen haben, uns erschaffen? Dann muss man sich die Frage stellen: Wie ist der Kosmos heute? Wichtig ist, es geht hier nicht nur um den Menschen oder um all die Billionen Organismen auf der Erde, sondern es geht um alle Organismen im Kosmos. Der Sinn des Lebens müsste universell für alle Lebensformen gelten, aber was können die in dem kurzen Zeitfenster machen, in dem Leben existieren kann, was danach einen Unterschied macht? Das einzelne Individuum darin ist nicht irrelevant. Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Objekt im Universum, aber es ist nicht sehr bedeutsam, das einzelne Individuum kann wenig verändern.
Du hast schon am Anfang dieses Gesprächs das Göttliche ausgeschlossen. Ist mit Naturwissenschaften das Göttliche, das Übersinnliche, das Spirituelle auszuschließen?
Vollert: Ja, und zwar aus einem relativ einfachen Grund: Wenn wir vom Spirituellen reden oder vom Göttlichen, dann bewegen wir uns daran, indem wir das Wissenschaftliche sofort ausschließen. Sobald ich was Spirituelles habe, was wissenschaftlich erklärbar ist, ist es nicht mehr spirituell. Mal ein ganz krasses Beispiel: Sagen wir mal, ich finde heraus, dass es irgendwas in Form von Geistern gibt. Das muss natürlich auf wissenschaftlichen Untersuchungen aufbauen, wissenschaftlichen Messgeräten, verschiedenen Berechnungen, Theorien und Modellen, die aufgestellt werden. Sowas gab es natürlich nie, weil es Geister nicht gibt. Aber in unserem Beispiel müsste das alles passieren. Und dann wäre es nicht mehr spirituell.
Das heißt also, dass wir das Spirituelle und das Göttliche sofort ausschließen können, weil es sind Herangehensweisen an die Thematik, die ausschließlich menschgemacht sind, die im Endeffekt Geschichten sind. Es sind nur Geschichten, die extrem weit verbreitet sind und die wir gerne hören. Teilweise, weil sie spannend sind, teilweise, weil sie sich gut anfühlen. Aber am Ende des Tages sind es noch Geschichten. Sobald wir uns fragen, ob das Göttliche möglich ist, versuchen wir immer, bereits bekanntes Wissen, was ausschließlich menschengemacht ist, aus Geschichten in unsere Wissenschaft reinzunehmen. Dann verlieren wir oft die sachliche Kälte, die wir brauchen, um an die Grundlagen der Realität heranzukommen.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe. Das komplette Interview können Sie in der ARD Audiothek hören und überall, wo es Podcasts gibt.
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