"Terrorpropaganda": Autor Yavuz Ekinci drohen sieben Jahre Haft
Am Mittwoch stand der türkisch-kurdische Schriftsteller Yavuz Ekinci in Istanbul vor Gericht. Der Vorwurf der Anklage: Er habe mit seinem Roman "Traumsplitter" von 2014 Terrorpropaganda betrieben.
Ekincis Roman "Traumsplitter" wurde im März 2023, neun Jahre nach der Veröffentlichung, beschlagnahmt und verboten. Sandra Hetzl ist Vorstandsmitglied beim Schriftstellerverband PEN in Berlin und war beim Prozess anwesend.
Frau Hetzl, wie ist es im Gerichtssaal gelaufen?
Sandra Hetzl: Tatsächlich konnte ich nicht in den Gerichtssaal rein, weil es so voll war - was natürlich gut ist. Es waren unglaublich viele bekannte türkische Autoren und Autorinnen im Gerichtssaal, sehr viele Prominente, und haben Solidarität gezeigt.
Ich habe mir von allen berichten lassen, was passiert ist: Zuerst hat Yavuz Ekinci seine Verteidigungsrede gehalten. Er hat gesagt, der Roman sei rein fiktional, und er könne nicht stellvertretend für seine Romanfigur verurteilt werden. Sein Verteidiger sagte, dass es auch keine rechtliche Grundlage dafür gebe, da es dem Gesetz nach der Veröffentlichung eines Buches eine sechsmonatige Frist gebe, wo man ein Buch noch verbieten oder rechtliche Prozesse in Gang setzen könne. Die sei natürlich längst verstrichen, weil der Roman 2014 erschienen sei.
Dem hatte der Staatsanwalt nichts hinzuzufügen, es gab also gar keine Gegenrede. Und dann gab es einen Moment der Verwirrung, weil alle, auch Ekinci, den Saal verlassen haben. Es hieß, es gebe eine kurze Pause. Man solle dann zurückkommen und dann werde das Urteil verkündet. Die Stimmung war gut, und man ging stark davon aus, dass er freigesprochen wird, doch dann wurde das Urteil auf den 9. Dezember 2024 verschoben.
Wie war die Stimmung, nachdem das verkündet wurde?
Hetzl: Relativ gut. Yavuz Ekinci hat noch vor dem Gerichtsgebäude im Istanbuler Bezirk Chalayan eine kleine Pressekonferenz gehalten. Es war allerdings nicht viel Presse da. Er sagte: "Der Tag, an dem ein Autor beginnt, sich selbst zu zensieren, an dem Tag ist seine Literatur gestorben." Dann sagte er noch: "Diese Anklage ist politisch und richtet sich gegen alle Autoren, das heißt: gegen die ganze Welt der Fiktion." Er sagte außerdem, dass er sehr stolz sei auf die breite Solidarität, weil wirklich viele Autoren anwesend waren.
Bei "Traumsplitter" geht es um ein Buch, das 2014 erschienen ist. Damals hat das türkische Kulturministerium den Roman noch bei der Frankfurter Buchmesse präsentiert und ihn damit im Grunde offiziell abgesegnet. Wie glaubhaft ist jetzt dieser Vorwurf der Terrorpropaganda überhaupt?
Hetzl: Überhaupt nicht glaubhaft. Ich glaube, nicht von ungefähr hatte der Staatsanwalt auch nichts mehr zu sagen. Es gab auf Ekincis Verteidigungsrede und auf die Rede seines Verteidigers keinerlei Gegenrede.
Woher kommt dann dieser Sinneswandel der türkischen Justiz?
Hetzl: Allgemein ist die Situation im Land schwieriger geworden. Die Repression gegen das freie Wort ist viel stärker geworden - und auch gegen kurdische Themen und Personen. Das ist im Vergleich zu 2014 auf jeden Fall stärker. Die Schikanen gegen Yavuz Ekinci begannen bereits im Jahr 2018. Das war mit der Veröffentlichung seines Romans "Die Tränen des Propheten", der auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
Damals hatte die rechte und islamistische Tageszeitung "Yeni Akit" einen empörten Hetzartikel geschrieben und ihn als Pseudo-Skandalautor der Blasphemie bezichtigt. Dann folgte noch ein Artikel, wo seine kurdische Identität in den Vordergrund gestellt und angegriffen wurde. Daraufhin sind die türkischen Behörden auf diese negative Weise aufmerksam geworden. Darauf folgte die Anklage wegen acht Tweets, die er zwischen 2013 und 2014 verfasst hat, von denen aber keiner Aufrufe zu Gewalt oder so etwas enthielt. Es waren lediglich Neujahrsglückwünsche, sie thematisierten die Situation im syrischen Kobanê.
Sie kennen Yavuz Ekinci persönlich sehr gut. Was glauben Sie, was macht der ganze Prozess mit ihm?
Hetzl: Ich glaube, egal, wie stark man ist - und Yavuz Ekinci ist sehr stark -, beeinträchtigt dieses Damoklesschwert, dass man eventuell für siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis kommt, das Leben sehr stark. Dennoch hat er sich heute in dieser Situation unglaublich wacker geschlagen und hat sich mit großer Anmut, großer Ruhe und großer Geistesgegenwart den Vorwürfen gestellt.
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.