Tag des inhaftierten Schriftstellers: "Literatur ist Erinnerung"
Heute ist der Tag des inhaftierten Schriftstellers. Weltweit sitzen nach Angaben des PEN International rund 140 Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Haft. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Najem Wali.
Der in Deutschland lebende irakische Autor flüchtete einst selbst vor dem Regime von Saddam Hussein ins Exil. Wali ist seit diesem Jahr Vizepräsident des PEN Zentrums Deutschland und Beauftragter des Writers in Prison / Writers at Risk Programms. Was macht das geschriebene Wort zur Zielscheibe von Diktatoren? Najem Wali berichtet über eigene Erfahrungen, die Situation verfolgter Autoren und über die Arbeit des PEN.
Heute ist der Tag des inhaftierten Schriftstellers. Wie bedroht sind Schreibende in einigen Teilen der Welt?
Najem Wali: Schriftstellerinnen und Schriftsteller leisten Widerstand überall in der Welt und setzen sich für Gerechtigkeit, für freie Gesellschaft ein. Dafür werden viele von ihnen verfolgt, bedroht, angegriffenen, eingekerkert, verbannt und getötet. Ich denke: Solange eine oder einer von ihnen irgendwo nicht frei ist, ist niemand von uns frei.
Welche Macht hat Literatur überhaupt? Was macht das Wort so gefährlich für die die inhaftierten Schriftsteller?
Najem Wali: Vielleicht ist das im Westen nicht so stark. Das Wort wird ernst genommen in Diktaturen. Diktatoren bauen ihre Macht auf dem Vergessen auf. Sie wollen nicht, dass die Leute was gesehen haben, gehört haben oder gerochen haben. Die Macht baut sich auf dem Schweigen von Menschen auf. Literatur ist Erinnerung, ist Gedächtnis. Das ist für Diktatoren gefährlich. Denn wenn man spricht und erinnert, dann spricht man von Ungerechtigkeit und von Diktatur, und das wollen sie nicht. Und das heißt auch: Die Menschen können nicht vergessen. Literatur kann die Welt nicht ändern, aber sie kann einen Beitrag leisten, indem sie beschreibt, was da ist.
Wie viele Fälle von inhaftierten Schriftstellerinnen und Schriftstellern sind überhaupt bekannt? Von welcher Größenordnung sprechen wir?
Najem Wali: Es gibt eine Caselist ist von PEN International, und es gibt auch zusätzliche Namen, die wir selbst recherchieren. Sie können es sich nicht vorstellen, dass wir bis jetzt über 140 offizielle Fälle haben. Abgesehen von anderen Fällen, von denen wir nicht wissen. Die Mechanismen sind überall die gleichen in der Welt. Es unterscheidet sich nicht in Afrika oder in Asien oder Lateinamerika, es sind immer die gleichen Methoden: Sie werden verfolgt oder bedroht - oder eingekerkert.
Ein Fall sorgt gerade besonders für Aufsehen, nämlich der des belarussischen Schriftstellers und Regimekritikers Sasha Filipenko, der im Exil in der Schweiz ist und dessen Eltern in Minsk in Sippenhaft genommen wurden. In der elterlichen Wohnung gab es eine Razzia, sein Vater ist verschleppt worden. Was kann der internationale PEN machen, um zu protestieren?
Najem Wali: Wir machen Druck bei der Politik, dass sie auch ihre Kontakte betätigen. Das ist wirklich schrecklich. Sie erpressen durch die Verhaftung von Eltern. Das habe ich am eigenen Leib erlebt in den 1990er-Jahren. Als ich im Exil war, hat Saddams Regime meine Eltern schikaniert oder verhaftet. Wir unterstützen natürlich die Schriftsteller, die so etwas erleben, indem wir den Fall bekannt machen. Und wie gesagt, auch bei der Politik machen wir unsere Kontakte geltend.
Was heißt das für Sie? Als Schriftsteller jetzt schreiben zu können und zu dürfen?
Najem Wali: Es hat sich nicht viel geändert bei mir, weil ich immer weiter geschrieben habe, meiner Romane, meiner Bücher. Auch meine Artikel gegen Diktatur. Ich habe nicht aufgegeben. Vielleicht hatte ich damals ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern, weil ich sie diesem Druck ausgesetzt habe. Aber trotzdem, es hat sich nicht viel geändert. Wenn ich dort gelebt hätte, hätte ich nicht so frei geschrieben wie im Exil. Exil gibt uns die Freiheit zu schreiben, und deshalb versuchen diese Diktatoren durch diese Erpressungen, Verwandte zu verhaften et cetera, Druck auszuüben. Ich werde keine Schriftsteller kritisieren, die sagen, ich mache das nicht, weil ich meine Eltern nicht gefährden will. Das ist eine persönliche Entscheidung.
Das Gespräch führte NDR Kultur Moderator Philipp Schmid.