Saša Stanišić im Gespräch mit Anina Pommerenke. © NDR

Saša Stanišić: "Werde oft als Vorzeigemigrant hingestellt"

Stand: 04.11.2023 07:45 Uhr

Saša Stanišić ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren. Im Interview mit NDR Kultur spricht er über die Schablone des Vorzeigemigranten und verrät, warum er immer Pullunder trägt.

Für "Herkunft" bekam Saša Stanišić 2019 den Deutschen Buchpreis. Seitdem hat er sich vermehrt dem Schreiben von Kinderbüchern gewidmet. Nach "Hey, Hey, Hey, Taxi!" und "Panda-Pand" ist nun sein drittes Kinderbuch "Wolf" erschienen. Anina Pommerenke hat ihn auf ein Fischbrötchen zum Gespräch getroffen.

Ich finde das sehr schön, dass du heute im Pullunder gekommen bist. Wann war der Tag, als du gedacht hast: 'Der Pullover ohne Ärmel, das ist mein Signature-Kleidungsstück'?

Saša Stanišić: Das war ein Tag des ungebügelten Hemdes. Ich hatte eine Veranstaltung und dachte: So kann ich da unmöglich hin. Ich war in einem Hotel und die Bügeleisen-Beschaffung gestaltete sich sehr schwierig. Dann hab ich den Pullunder gesehen und gedacht: Das ist doch wunderbar, der verdeckt die Falten. Wenn ich die Ärmel hochkremple, sieht man an den Armen auch nichts. Seitdem denke ich, dass das die eleganteste Möglichkeit ist, um zu verdecken, dass ich nicht so gut bügeln kann.

Ich habe sehr viele Interviews von dir gelesen und es geht sehr oft um deine Migrationsgeschichte. Du verarbeitest auch viel davon in deinen Romanen. Ist das manchmal nervig, wenn da immer nachgefragt wird?

Stanišić: Es gibt so einen Bedarf von Gesprächspartnern, mich als Beispiel einer gelungenen Integration zu sehen. Da denke ich mir oft: Muss das denn sein? Was ist denn genau gelungene Integration? Was verstehst du darunter? Je nachdem, wen man fragt, bekommt man eine andere Definition. Warum ist jemand, der auf dem literarischen Feld Erfolg hat, ein gelungenes Beispiel für Integration. Nur weil er Erfolg hat? Gehören da nicht viel wichtigere Dinge dazu? Da werde ich interessanterweise sehr oft als Vorzeigemigrant hingestellt: Er hat ein gutes Abi gemacht, er ist ein bekannter Schriftsteller. Das stört mich, wenn meine Person und meine Karriere für etwas genommen werden, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Dass wir in der Gesellschaft miteinander zurechtkommen, dass wir uns an bestimmte Regeln halten, uns gewisse Freiheiten gegönnt werden. Da schreite ich manchmal auch ein.

An Schulen ist es genau umgekehrt. Dort zu stehen und zu sagen: Schaut mal, ich bin als Flüchtling nach Deutschland gekommen, ich konnte kein Wort Deutsch, jetzt stehen wir hier, reden miteinander und ihr lest mein Buch im Unterricht: Es geht. Ich weiß, es ist schwieriger. Ihr müsst euch vielleicht noch einmal mehr anstrengen als die Deutschen. Ihr seid hier vielleicht auch benachteiligt, ihr seid in einem sozialen Brennpunkt. Aber es geht. Man kann es da auch rausschaffen. Da finde ich es ganz gut, wenn ich als Beispiel für etwas stehe. Gar nicht unbedingt als erfolgreicher Mensch, sondern als jemand, der etwas macht, das er liebt.

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Du hast jetzt seit zehn Jahren den deutschen Pass. Wann hattest du das erste Mal das Gefühl: 'Wow, das war jetzt ein krasser Alman-Move'?

Stanišić: Ich trainiere hier in Hamburg eine Fußball-Jugendmannschaft: F-Jugend, die sind acht bis neun Jahre alt. Neulich habe ich einen anderen Trainer angeschnauzt. So wirklich über den Platz gerufen: 'Jetzt sei doch mal still, lass die Kinder spielen'. Dieses öffentlich jemanden Zurechtweisen, ich kam mir danach mehr als Täter vor. Da dachte ich: 'Das war jetzt wirklich Deutsch'. Jemanden zurechtweisen, von dem man das Gefühl hat, der nervt.

Warst du damals in Hamburg bei dieser Einbürgerungszeremonie?

Stanišić: Nein, ich habe mich damals in Berlin einbürgern lassen. Aber ich weiß, dass es das hier gibt. Das finde ich auch eine sehr schöne Sache. In Amerika ist das gang und gäbe, dass man die Einbürgerung mit einem kleinen Ritual, einer Willkommensparty, feiert. Bei mir war das wirklich ganz staubtrocken. Ich bin da rein, die Frau hat mich angeguckt, hat gesagt: 'Ah, Sie sind es schon wieder'. Hat mir meine Unterlagen zurückgegeben, einmal gewunken und das war's. Es ist ein langer Weg und eine Entscheidung, die oft emotional ist und vielen Leuten nicht leicht fällt. Dass man sich dann in einer Art bedankt und mit dieser kleinen Feier sagt: 'Willkommen, du bist jetzt Teil dieser sehr mannigfaltigen Gemeinschaft', das finde ich eine schöne Sache. Eigentlich sollte das mehr passieren.

Erinnerst du dich noch an den Moment, als du das erste Mal auf Deutsch geträumt hast?

Stanišić: Nein, nicht direkt. Ich erinnere mich, dass ich mal verliebt war und kaum Deutsch konnte. Das fühlt sich jetzt im Nachhinein wie ein Traum an. Das war vielleicht zwei oder drei Monate nachdem wir nach Deutschland gekommen sind. Ich war in ein Mädchen verliebt und wir konnten uns nicht miteinander unterhalten. Sie war Deutsche, konnte kaum Englisch. Wir standen nebeneinander und hatten augenscheinlich aneinander gefallen, aber konnten das überhaupt nicht kommunizieren. Das fühlt sich so unwirklich an, wenn du jemandem nicht sagen kannst, dass du ihn magst.

Du gehörst zu der kleinen Gruppe von Autoren, die tatsächlich vom Schreiben leben kann. Das stellt man sich idyllisch vor, kann aber anstrengend sein. Ich habe da so einen Kommentar auf Instagram von dir gefunden, als du gerade "Herkunft" fertig geschrieben hattest. Du warst da ziemlich ausgelaugt, oder?

Stanišić: Herkunft war ein Projekt, das sich sehr lange gezogen hat. Das war eine Recherche von drei bis vier Jahren. Emotional sehr anstrengend, weil es sehr viel mit mir selbst zu tun hat. Ein Buch, das meine Biografie nach außen kehrt und sie öffentlich macht. Ein Buch, das meine Familie immer wieder einbezieht: Gespräche mit den Eltern, mit meiner dementen Großmutter. Das war wahnsinnig anstrengend - für sie, für mich, für alle Beteiligten. Das in eine Form zu bringen und daraus Literatur zu machen, das war einfach ein wahnsinnig emotionaler Prozess. Aber gleichzeitig auch sehr belohnend. Ich habe das Gefühl, ich bin dadurch mit meiner Familie enger zusammengekommen. Aber ich war danach völlig fertig, diese drei Jahre waren schon echt hart. Aber das ist gut. Warum soll Literatur nicht hart sein? Es kann ja auch nicht sein, dass einem jedes Buch leicht fällt.

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Du bist quasi der selbsternannte Präsident des nicht existierenden Rosenkohl Fanclub Deutschlands. Wann hast du dich in Rosenkohl verliebt?

Sasa Stanisic trägt ein T-Shirt mit Rosenkohlbällchen drauf. © SAŠA STANIŠIĆ/CC BY-SA 4.0
Wenn Saša Stanišić mal keinen Pullunder trägt, zeigt er seine Liebe zu Rosenkohl.

Stanišić: Des noch nicht existierenden Fanclubs. Das war in Deutschland: In Bosnien essen wir keinen Rosenkohl. Ich kannte dieses Gemüse nicht. Es war eines dieser Mensaessen in meiner Studienzeit, wo diese kleinen sehr appetitlich aussehenden Bällchen lagen und dachte ich probiere das mal. Liebe auf den ersten Blick. Es gab sofort diese Art von Zwiegespaltenheit. Alle guckten mich an und fragten: 'Du magst das?'. Das macht Rosenkohl mit Menschen: Es gibt entweder Menschen, die sagen 'Ich liebe das Zeug' oder Leute, die sagen 'Wie kannst du das essen, das ist doch pures Gift'.

Im Vorwort zu "Hey, Hey, Hey, Taxi!" lädst du die Vorlesenden dazu ein, die Geschichten mit den Kindern immer weiter zu erfinden. Wieso ist dir das wichtig?

Stanišić: Ich habe das mit meinem Sohn gelesen und dieses Verfahren beim Vorlesen der Geschichten einfach auf das Buch übertragen. Das heißt: Ich habe ihn mitten in der Geschichte gefragt, wie es weitergeht. Ich hatte mir die Geschichten ja selbst spontan ausgedacht. Er hat sich vorgestellt, wie es weitergehen könnte und hat dann selbst Figuren erschaffen, Probleme gelöst und kam dann auch selbst in die Geschichte hinein. Da gab es einen Riesen, der die ganze Elbe ausgetrunken hat, und dann kommt mein Sohn als Retter, geht zum Riesen und verhandelt darüber, dass er die Elbe wieder ausspuckt. Das mag ich gerne. Wenn die Kinder nicht nur passive Teilhaber sind, sondern sich involvieren und auch selbst etwas erzählen.

Wann wird es eine Fortsetzung geben?

Stanišić: Nächstes Jahr im März wird es die Fortsetzung geben. Das Buch ist schon fertig und dieses Mal hat mein Sohn selbst drei Geschichten beigetragen. Also nicht mehr, in dem er die Geschichten ergänzt hat, sondern er ist selbst Schriftsteller geworden und hat sich drei Geschichten ausgedacht. Da geht es auch mit Fieberthermometer, dem kleptomanischen Zwerg, und dem Drachen weiter. Dieses Mal hat Fieberthermometer sich selbst geklaut.

Dein neuer Roman "Wolf" ist eher für ältere Kinder geschrieben. Was verändert sich da?

Stanišić: 'Hey, Hey, Hey, Taxi!' war für ein Vorlesepublikum - also Kinder zwischen vier und sieben Jahren. Einige Kinder haben es aber auch schon selbst gelesen. "Wolf" ist vor allem für das Publikum, das selbst liest, gedacht. Aber ich weiß inzwischen aus der Erfahrung vieler Eltern, dass sie doch mitmachen und mitlesen. Eigentlich ist es das Gleiche: Man muss die Kinder genauso ernst nehmen wie die Jugendlichen. Wenn man zu doof sein möchte und versucht naiv zu erzählen, durchschauen das die Kinder. Für mich ist immer die größte Herausforderung: Wie erzählst du eine Geschichte, dass sich ein gewisses Alter und viele Spektren von Kinderentwicklung angesprochen fühlen. 

Du triffst auch viele junge Menschen. Wie ist dein Eindruck: Haben die Lust auf Lesen?

Stanišić: Mädchen viel mehr als Jungs. Das ist sehr auffällig. Aber auch nicht verwunderlich. Es geht immer darum, wie diejenige Person, die ihnen die Bücher beschafft, den 'Werbeblock' einrichtet. Wie man das Buch vorstellt. Ich habe viel mit Lehrerinnen und Lehrern gesprochen. Tatsächlich ist es so, dass mein Buch "Wolf" auch eine komische Komponente hat. Der Erzähler ist ein junger Zyniker, der alles nicht mag. Er mag den Wald nicht, er mag die Natur nicht, er mag die Mücken nicht, er mag das soziale Miteinander nicht. Wenn die Lehrer das gut einführen, wenn sie sagen: 'Das erzählt jetzt hier einer, der ist immer so schlecht gelaunt wie ihr', dann kriegt man sie auch. Humor ist eine ganz wichtige Einstiegsdroge in die Lektüre. Dann lesen sie auch mal rein, probieren es zumindest. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass literarisches Lesen leider momentan ein bisschen an der Seite runterfällt. Ich wüsste auch nicht, wie man das den Kindern besser näherbringen kann. Das hat natürlich viel mit der Schule und den Eltern zu tun. Wie kommunizieren sie Literatur? Welche Bücher werden in den frühen Kindesjahren gelesen? Ich würde mich freuen, wenn mehr aktuellere Stoffe gelesen werden, die mehr an der Lebenswirklichkeit der Kinder sind. Damit kann man sich besser identifizieren.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

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