Salgados Bildband "Arbeiter": Respektvoller Blick auf Schwerstarbeit
Sebastião Salgado ist einer der berühmtesten Fotografen unserer Zeit. Seit Jahrzehnten widmet er sich Themen, die andere eher ausklammern. Mit seinem Bildband "Arbeiter" zeigt er Menschen, die Schwerstarbeit verrichten.
Seine sozialdokumentarischen Serien offenbaren den Zustand der Welt, indem sie Menschen zeigen, die in Elend und Vergessenheit leben: Kriegsgeflüchtete in den Krisenherden dieser Welt, Ureinwohner, denen durch Umweltzerstörung ihre Lebensgrundlage genommen wurde, Hungernde in der afrikanischen Sahelzone. Salgado geht dahin, wo es wehtut. Der Brasilianer, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, präsentiert seine Arbeiten in bemerkenswerten Ausstellungen und Bildbänden. "Arbeiter" ist jetzt neu erschienen.
Die schwere Arbeit springt einem ins Gesicht
Wenn Bücher Geräusche von sich geben könnten, wenn sie Gerüche verströmen und Bewegungen vermitteln könnten: der wieder aufgelegte Bildband "Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters" von Sebastião Salgado würde nach Schmiedehämmern und Lastwagen, nach Bohranlagen, nach Schweißbrennern und strömendem Wasser klingen. Er würde nach Tabak und nach Schwefel, nach Schweröl, nach Kakao, nach Metall, Erde und Schweiß riechen. Er würde vibrieren, erzittern und schwanken.
Gefährliche Szenarien der Schwerstarbeit
Wer Salgados 400 Seiten dicken Bildband aufschlägt, riecht, hört und fühlt förmlich, was er uns in beeindruckenden Schwarz-Weiß-Fotos vor Augen führt: Stätten harter Arbeit. Es ist eine Weltreise zu Menschen, die dort im Schweiße ihres Angesichts, oft vor Dreck strotzend, rund um den Globus mit ihren Händen Schwerstarbeit verrichten. Das Buch bringt uns zu Zuckerrohrpflückern nach Kuba, führt zu Thunfischfängern nach Sizilien, zu Fabrikarbeitern nach China, zu Fleischern in Schlachtfabriken in den USA und zu Webern nach Bangladesch.
Es sind nicht besonders sichere oder gesunde Szenerien, in denen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter bewegen. "Gebt gut auf Euch acht!": Das möchte man ihnen zurufen, wenn sie ganz ohne jeglichen Schutz wie Helme, Handschuhe oder festes Schuhwerk auf den unwirtlichen Schiffsfriedhöfen Bangladeschs mit einfachen Hämmern ausrangierte Tanker in verwertbare Einzelteile zerlegen. Man möchte es nicht glauben, dass die Arbeiter eines kasachischen Bleiwerks gegen die hochgiftigen Stäube nichts als dünne Baumwolltücher vor Mund und Nase tragen.
Salgado zeigt Drama und Stolz der Menschen zugleich
Es sind mitunter apokalyptische Szenerien, die Salgado in den für ihn typischen analogen, grob-körnigen und kontrastreichen Fotografien festgehalten hat - Parallelwelten, in denen unsereins niemals auch nur einen Fuß setzen würde. Es sind Tableaus voll menschlichen Dramas und zugleich von großer Schönheit. Denn Salgado nimmt den hart schuftenden Menschen nicht die Würde - im Gegenteil.
Wir schauen in die stolzen, ja fast trotzigen Augen schlammverschmierter brasilianischer Goldschürfer. Schwer beladen mit Körben voller Erde, klettern sie über wacklige Leitern, wie antike Wesen aus der Unterwelt aus einem riesigen Erdkrater ans Tageslicht. Selbstbewusstsein spricht auch aus den Augen eines spärlich bekleideten Tagelöhners, der am Bau eines gigantischen Staudamms in Indien mitarbeitet.
Einblicke in kaum vorstellbare Realitäten
"Seine Bilder entwaffnen. Sie stiften Verbindung. Nähe und Empathie." Was der Filmregisseur Wim Wenders 2019 in der Laudatio zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandles über seinen Freund sagte, gilt auch für die Neuauflage des Bildbands "Arbeiter". Wie in allen seinen Fotografien geht es Sebastião Salgado auch in diesem Buch darum, die Menschenwürde der Abgebildeten zu betonen - angesichts der harten Realitäten, unter denen sie leben und arbeiten müssen. Im Klappentext des erstmals 1993 veröffentlichten Buches heißt es:
"Salgado legt ein globales Bildepos vor, das über das bloße Abbilden hinausgeht und zu einer Art Hymne auf den Widerstandsgeist arbeitender Männer und Frauen wird. Die 350 Fotografien eröffnen eine archäologische Perspektive auf diejenigen Tätigkeiten, die von der Steinzeit über die industrielle Revolution bis in unsere Gegenwart als Inbegriff harter Arbeit gelten. Mit seinen Bildern legt Salgado Schichten visueller Informationen frei, um die unermüdliche menschliche Arbeit als Kern der modernen Zivilisation zu enthüllen." Aus dem Klappentext
Damals wie heute: Die Arbeitsbedingungen haben sich nicht verändert
Die Bilder entstanden in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren. Manche Arbeit wird es so nicht mehr geben, andere hingegen schon. Noch immer sind es schlecht bezahlte Näherinnen, die unsere T-Shirts fertigen. In den Minen des Kongo schürfen heutzutage Arbeiter unter brutalen Bedingungen seltene Erden für unsere Handys aus dem Boden. Und unter sklavenartigen Umständen pflücken Arbeiter noch immer den Kakao für unsere Schokolade.
Mehr als 30 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage von Sebastião Salgados' "Arbeiter" hat sich also kaum etwas daran geändert, was schon damals galt: Wohlstand und Zivilisation, vor allem in der sogenannten ersten Welt, bauen fundamental auf der harten Arbeit von Menschen auf, die wir allzu gerne verdrängen. Der Bildband schiebt sie unübersehbar und mit großem Respekt erneut in unser Bewusstsein.
Arbeiter - Zur Archäologie des Industriezeitalters
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Taschen Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-8365-9646-6
- Preis:
- 80 €