"Moving Focus": Bildband mit Werken von David Hockney
Der Brite David Hockney zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern. Das Kunstmuseum Luzern eröffnete am 9. Juli - an seinem 85. Geburtstag - eine Ausstellung mit seinen Werken; der Katalog dazu ist als edler Bildband erschienen.
Der Künstler ist anwesend: als kleine krakelige Figur, in der Ecke einer Radierung sitzend. Er schaut durch seine berühmte kreisrunde Brille, Arme verschränkt, schüchtern. Dann wieder lenkt er seinen und unseren Blick in sehr intime Räume. Da duscht ein nackter Mann, das Wasser spritzt auf seine Haut, und im Vornüberbeugen blickt er uns plötzlich tief ins Auge.
David Hockneys verschobene Perspektiven
David Hockney ist ein Maler von großer Freundlichkeit. Seine Farben, seine kalifornischen Himmel, der feuerrote Fußboden eines mexikanischen Hotels, sie wirken fast naiv. Die tiefgrünen Wiesen Yorkshires scheinen das Leben zu feiern. In dem Bildband erfahren wir viel über David Hockneys Weltsicht:
Man muss im Hier und Jetzt leben. Es ist das Jetzt, das ewig währt. […] Deshalb braucht man viele Künstlerinnen und Künstler, und nicht nur Maler, sondern alle Arten von Künstlerinnen, denn sie betrachten das Leben aus einem anderen Blickwinkel. Leseprobe
Auf einer Lithografie ist ein perspektivisch korrekter Stuhl mit einem großen roten Kreuz durchgestrichen, darunter: eine perspektivisch zwar "falsche", aber viel lebendigere Version, bei der sich die hinteren Stuhlbeine nach vorne drängen. David Hockney, erzählt der kluge Text der Luzerner Museumsdirektorin Fanny Fetzer, verschiebt die Perspektiven:
Erfindet David Hockney hier gerade eine Möglichkeitsperspektive, eine Darstellung unserer potenziellen Schritte, Blicke und Bewegungen durch einen Raum? Leseprobe
Rätselhafte Symbole
Auch durch den sinnlich-informativen Bildband streift man wie auf einem Spaziergang, kommt seinem Strich ganz nahe, Radierungen mit ihrem eigenen Humor, der versteckten Symbolik und Erotik. Die Serie "A Rake’s Progress" von 1961, diese zittrigen Situationen, wo ein junger Engländer, also Hockney selbst, nach New York aufbricht. Auch um seine Homosexualität frei auszuleben. Versehen mit rätselhaften Nummern und Symbolen. Russel Tovey schreibt etwa:
Zwei Zeichen in Form eines "O" sind zu erkennen. Sofern hier tatsächlich die Kabine in einem Schwulentreff dargestellt ist, könnte es sich um sogenannte Glory Holes handeln, Löcher also, die extra in die Trennwand zwischen zwei Einzelkabinen gesägt wurden, um zu ermöglichen, die ganze "Pracht" des anderen zu bewundern.
Eine Kunst der Gleichzeitigkeit
Die Texte anderer Künstlerpersönlichkeiten erklären, ohne staubig zu werden, sie sind assoziativ und poetisch. Die queeren Bezüge seiner Kunst werden verständlich, sein eiliger Blick. Es ist eine Kunst der Gleichzeitigkeit, der Multi-Perspektiven. In einem Brief aus den 80er-Jahren liefert Hockney selbst den Schlüssel, nämlich die uralte Kunst der Chinesen auf Papierrollen:
Es ist besser als Kino oder Fernsehen. Es kann nicht reproduziert werden, weil sich ein Buch [beim Blättern] selbst zudeckt und das seitliche Sehen bzw. Lesen von [nebeneinander angeordneten] Ereignissen verhindert. Leseprobe
Dann wieder sieht man beim Durchblättern seine fast altmeisterlich-ikonischen Bilder, etwa das der Eltern oder "Mr. und Mrs. Clark and Percy" vor einer offenen Balkontür. Zeichnungen nackter Männer in weißen Bettlaken, Situationen von großer Beiläufigkeit und brüchiger Erotik. Fabelhaft.
Ein Zitat David Hockneys steht wie ein Trompetenstoß am Anfang dieses gelungenen Bildbands: "Spring cannot be cancelled" - "Der Frühling kann nicht abgesagt werden". Pandemiebedingt, wie so viele andere Freuden. Im Gegenteil, der Frühling findet statt.
Moving Focus
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- 150 Abbildungen
- Verlag:
- Verlag Hatje & Cantz
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-5121-6
- Preis:
- 38,00 €