Michel Houellebecq und sein trauriger Tiefpunkt
Das Buch "Einige Monate in meinem Leben" ist jetzt in deutscher Übersetzung erschienen. Darin erzählt der Schriftsteller aus seinem Leben von Oktober 2022 bis März 2023. Ein sehr bewegender Lebensabschnitt.
Vom Winter des letzten bis ins Frühjahr dieses Jahres hat Michel Houellebecq gleich mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Erst der Skandal um seine vermeintlich islamfeindlichen Äußerungen in einer französischen Zeitschrift im Dezember. Dann die Aufregung um Houellebecqs Teilnahme an einem pornographischen Doku-Film. Der französische Schriftsteller versuchte die Veröffentlichung des Films gerichtlich zu verhindern. Zuletzt hat ein Berufungsgericht in Amsterdam dann den niederländischen Regisseur dazu verpflichtet, Houellebecq vor der Veröffentlichung den Film zur Prüfung auszuhändigen. Über diese bewegten Monate hat Houellebecq jetzt einen hundertseitigen Bericht in Buchform geschrieben. Am 18. Juli ist "Einige Monate in meinem Leben" in der deutschen Übersetzung erschienen.
Bericht über seine Skandale der vergangenen Monate
"Ich bin beleidigt worden. Und ich habe schon Leute beleidigt. Da gibt es kein Problem." Michel Houellebecq zündet sich eine Zigarette an, während er auf demselben Bett seiner Pariser Arbeitswohnung liegt, in dem er sich beim Sex hat filmen lassen. Dass er in seinem neuen Buch, einem Bericht über seine Skandale der letzten Monate, beleidigt und auf Rache aus ist, gibt der französische Autor offen zu.
Houellebecq entschuldigt sich für islamophobe Äußerung
Doch der Reihe nach: In einer französischen Zeitschrift behauptete Houellebecq, die "angestammten Franzosen" wollten, dass die Muslime damit aufhörten, sie zu "bestehlen", oder ansonsten wieder gingen. Das klang eindeutig islamophob. Houellebecq nennt diese Äußerung nun im Buch "idiotisch": "Das tut mir sehr leid. Ich habe das so sehr vereinfacht, dass etwas sehr Falsches herausgekommen ist. In Wirklichkeit sind Muslime nicht in besonderem Maße Diebe oder Kriminelle. Aber sie leben oft in denselben benachteiligten Vierteln."
Teilnahme an pornographischem Film
Im Buch geht es aber vor allem um Houellebecqs Teilnahme am pornographischen Film eines niederländischen Künstlerkollektivs, für den er mit jungen Frauen, angeblich Groupies, Sex haben sollte. Der Regisseur Stefan Ruitenbeek habe ihn in eine Falle gelockt, behauptet Houellebecq. Beim Dreh in Amsterdam kam es zu keinem Sex, weil sich Autor und Regisseur überwarfen. Es folgten Gerichtsprozesse. Allerdings unterschrieben Houellebecq und seine Frau in Amsterdam wohl aus Unachtsamkeit einen rückwirkend geltenden Vertrag. So darf Ruitenbeek nun auch verwenden, was er schon zuvor in der Pariser Arbeitswohnung des Autors gefilmt hatte: den gemeinsamen Sex der Houellebecqs mit Jini van Rooijen, einer Freundin des Regisseurs.
Filmmaterial hatte Houellebecq nicht freigegeben
Houellebecq hatte das Material damals nicht freigegeben, weil er befürchtete, man könne ihn und seine Frau trotz getragener Masken erkennen.
Bei dem Gedanken, diese Aufnahmen könnten gegen meinen Willen verbreitet werden, verspürte ich zum ersten Mal etwas, was mir den Schilderungen von Frauen zu ähneln schien, die Opfer einer Vergewaltigung wurden.
Heißt es im Buch. Eine klare Relativierung der Vergewaltigung: "Ich weiß, dass man mir das vorwerfen wird. Aber die Symptome ähneln sich." So habe er sich nicht mehr waschen können und sich vor Sex geekelt. "Jetzt ist es wieder besser. Ich habe wieder Sex." Das ist eben der Unterschied zum oft lebenslangen Trauma einer vergewaltigten Frau. Michel Houellebecq mangelt es offenbar an Empathie. Hochsensibel ist er dann, wenn es um ihn selbst geht. Er habe sich beim Dreh "wie der Gegenstand einer Tierdokumentation" gefühlt, schreibt er, entmenschlicht im Buch aber selbst, indem er beleidigende Tiernamen vergibt, etwa van Rooijen "Sau" nennt und Ruitenbeek ganze hundert mal "Kakerlak". Das ist abscheulich und justiziabel.
Regisseur hat Houellebecq heimlich aufgezeichnet
Justiziabel dürfte allerdings auch sein, dass der Regisseur für seine Filme Menschen teils heimlich aufzeichnet, um sie dann gnadenlos bloßzustellen. Houellebecq befürchtet also zurecht das Schlimmste. Verständlich ist auch sein Ärger darüber, dass ausgerechnet ein wenig talentierter Regisseur Houellebecqs Geilheit auf Sex mit jungen Frauen nutzen konnte, um endlich international beachtet zu werden. Aber man muss vom Autor bestechender Gesellschaftssatiren mehr erwarten als diesen rachsüchtigen und würdelosen Text samt expliziten Ausführungen.
[...] sie war eine unterdurchschnittliche Bläserin, machte keinerlei Anstalten, ihre Möse aktiv einzusetzen [...] "
Buch ist trauriger Tiefpunkt Houellebecqs
"Einige Monate in meinem Leben" ist der traurige Tiefpunkt im literarischen Werk Michel Houellebecqs, ausgelöst durch das Aufeinandertreffen zweier egomaner Kindsköpfe. Er bitte die Muslime um Verzeihung, sagt Houellebecq. Aber Ruitenbeek habe sich bei ihm noch nicht entschuldigt: "Je demande pardon aux musulmans. Lui il ne me demande pas pardon pour l'instant."
Michel Houellebecqs neues Buch "Einige Monate in meinem Leben. Oktober 2022 - März 2023" wurde aus dem Französischen von Stephan Kleiner übersetzt und ist am 18.7. bei Dumont erschienen. Das Buch hat 108 Seiten und kostet 20 Euro.
Einige Monate in meinem Leben. Oktober 2022 - März 2023
- Seitenzahl:
- 108 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- Dumont
- Bestellnummer:
- 978-3832168315
- Preis:
- 20 Euro €