Desillusionierter Kabarettist Nico Semsrott: Machtlos in Brüssel
Fünf Jahre lang saß Nico Semsrott im EU-Parlament. Nun stellt er sich desillusioniert nicht wieder zur Wahl. Die Erlebnisse hat er in seinem Buch "Brüssel sehen und sterben" verarbeitet. Ein Gespräch.
2019 trat Semsrott den nach eigenem Bekunden "merkwürdigsten Job der Welt" an. Als Abgeordneter der Satirepartei "Die Partei" zog er ins Europaparlament in Brüssel beziehungsweise Straßburg ein. Aber schon in dieser Pendelei zwischen den beiden Parlamentssitzen, sagt Semsrott heute, stecke alles, "was das Parlament im Kern ausmacht: Steuerverschwendung, Tragik und grober Unfug".
Nico Semsrott: Begeisterung weicht der Ernüchterung
Dabei war der deutschlandweit bekannte Kabarettist anfangs noch hellauf begeistert: "Das Europaparlament - eine hervorragende Idee. Nur in der Realität leider ein Witz, und noch dazu ein sehr schlechter." Nun kehrt Nico Semsrott dem EU-Parlament nach fünf Jahren desillusioniert den Rücken: "An dem Ort, an dem wir dringend auf Gerechtigkeit und Vertrauen angewiesen sind, wird Korruption nur selten bestraft, sondern meistens belohnt."
Im Gespräch mit Sebastian Friedrich thematisiert Semsrott offen seine Depression und kritisiert den gesellschaftlichen Umgang damit. Warum er als Satiriker im EU-Parlament in der Politik fehl am Platz war, thematisiert er in seinem gerade erschienenen SPIEGEL-Bestseller und dem Bühnenprogramm "Brüssel sehen und sterben. Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe". Seine Zeit in Brüssel will er nicht missen. Aber auch nie wiederholen.
Haben Sie die letzten fünf Jahre im Europaparlament zum EU-Kritiker werden lassen?
Nico Semsrott: Überhaupt nicht. Ich bin weiter Fan von der Idee, wenn man sich weltweit auch umguckt: Es ist mit Abstand das beste demokratische, internationale Experiment, was es gibt. Ich sage auch immer: Die EU ist so was wie die Vereinten Nationen - nur mit Macht. Und trotzdem bin ich Idealist und Demokrat und deswegen bin ich für Machtteilung. Und Machtteilung bedeutet auch, dass man Wissen teilt. Das ist die Grundvoraussetzung für eine vernünftige demokratische Wahl, dass ich als Wähler weiß, worüber ich da entscheide. Und wenn mir extrem viele Informationen vorenthalten werden, dann kann die Entscheidung gar nicht richtig ausfallen.
Transparenz als Forderung für die Reform der EU. Welche weiteren Forderungen haben Sie?
Semsrott: Ich hätte gern ein Initiativrecht für das europäische Parlament. Ein Parlament, das nicht selbst Gesetze starten kann, ist eine ziemlich absurde Veranstaltung. Es ist auch eine Beleidigung für die Wähler*innen. Die denken ja auch, bei der Europawahl wird die wichtigste Institution der EU gewählt. Das ist ja eigentlich auch die Annahme. Deswegen heißt es ja "Europawahl". Und eigentlich ist es nur die Wahl zum europäischen Parlament. Es ist also ein paar Stockwerke tiefer. Das wissen die meisten Leute gar nicht. Und das, finde ich, ist schon schwierig. Da kann man sich ein bisschen veräppelt fühlen.
Warum haben Sie sich entschieden, nicht mehr zu kandidieren?
Semsrott: Ich habe den Eindruck, dass ich über fünf Jahreszeiträume da extrem wenig bewirken kann. Meine Zeitfenster als Satiriker sind da sehr kurz. Ich persönlich leide einfach unter diesem System enorm. Ich fühle mich da ganz oft angelogen. Und das verletzt mich persönlich. Und mit angelogen meine ich, dass mir erzählt wird von den Spitzenpolitikern, dass die EU supertransparent arbeite, und wenn ich dann aber konkret etwas wissen will, dann wird mir die Information verweigert, und ich denke so: Hm, irgendwie passen da die Story und mein Erlebtes nicht zusammen. Und das immer wieder zu erleben ist mega frustrierend. Ich will mich dem nicht ausliefern. Ich wollte das gar nicht wissen.