Iran: "Die Proteste werden irgendwann zu Erfolg führen"
Im Iran wird heute das persische Neujahrsfest gefeiert. Angesichts der aktuellen Proteste ist die Stimmung dort aber sehr gedrückt. Ein Gespräch mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
In ihrem neuen Buch beschreibt Katajun Amirpur die Entwicklung des Irans über die vergangenen Jahrzehnte und versucht damit eine Herleitung, wie es zu den anhaltenden Protesten der vergangenen Monate kommen konnte.
Frau Amirpur, was ist mit dem Titel Ihres Buches gemeint, "Iran ohne Islam"? Der Iran bezeichnet sich selbst doch als Islamische Republik.
Katajun Amirpur: Ich bin zum einen durch eine Umfrage aus dem Jahr 2020 darauf gestoßen, die von einem niederländischen Meinungsforschungsinstitut gemacht wurde. Die haben 50.000 Iraner in Iran befragt, und davon sagten acht Prozent, dass sie sich als Zoroastrier sehen. Zoroastrismus ist die vorislamische Religion Irans. Das fand ich eine wahnsinnig bemerkenswerte Zahl - das wären, hochgerechnet auf die Bevölkerung Irans, ungefähr sechseinhalb Millionen Zoroastrier. Das deckt sich sehr stark mit anderen Umfragen, wonach sich nur noch 30 bis 40 Prozent aller Iraner*innen überhaupt noch als Muslime bezeichnen. Was irgendwie auch klar ist: Wenn man seine Haarlocke nicht unterm Kopftuch zeigen darf, wenn man das Sorgerecht nicht bekommt, weil man sich scheiden lässt - all das wird als unislamisch deklariert - dann ist das vielleicht eine relativ logische Schlussfolgerung, dass man sagt: Wenn das der Islam ist, dann will ich lieber keinen Islam. Das ist das, was mir in den letzten 30 Jahren immer stärker begegnet ist, bis hin zu dem, was wir in den letzten Monaten sehen, dass die Menschen dem islamistischen Regime an sich eine Absage erteilen, aber sich auch immer stärker vom Islam abwenden.
Sie sagen also, dass der Protest schon viel älter ist als das, was wir seit ungefähr einem halben Jahr auf den Straßen sehen. Wie kommt es denn, dass es erst jetzt so deutlich zum Ausdruck kommt?
Amirpur: Es gibt sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wann dieser revolutionäre Prozess, den wir gerade beobachten, wirklich begonnen hat. Manche sagen nach 2009 - das war nach einer gefälschten Wahl - oder auch 2017/18. Aber wir beobachten das schon sehr lange. Selbst Umfragen, die vom Regime herausgegeben werden, sagen, dass wir in den letzten drei, vier, fünf Jahren an die 35 Protestaktionen pro Tag gesehen haben. Das ist also schon sehr lange im Gange. Aber wir haben seit September ein bisschen genauer hingeschaut. Im Moment, glaube ich, gucken wir gar nicht so genau hin, da wird gefragt: Ist es denn schon zu Ende, wie sieht es aus? Aber auch im Moment sehen wir immer noch sehr viele Protestaktionen mit Menschen auf der Straße, aber auch, dass es sich von der Straße hin zu anderen Formen des zivilen Ungehorsams gewandelt hat. Dieser Prozess, der immer mal wieder ans Tageslicht knallt, dass wir das auch in den westlichen Medien wahrnehmen, das ist etwas, was es im Iran selbst schon sehr lange gibt.
Wie ist Ihre Einschätzung: Werden diese Proteste irgendwann zu einem Erfolg führen oder zumindest zu Erleichterungen der Lebensumstände?
Amirpur: Irgendwann werden sie mit Sicherheit zu Erfolg führen. Es kann nicht sein, dass ein Volk jahrzehntelang so sehr gegängelt werden kann, ohne dass das Ganze irgendwann platzt. Wann, das kann ich leider nicht sagen. Es gibt immense Widerstandspotenziale durch die sogenannten Revolutionsgarden, die nur deswegen existieren, um solchen Widerstand im Keim zu ersticken. Das tun sie schon seit vielen Jahrzehnten. Würde es die nicht geben, dann wäre es schon sehr viel früher zu einem Umsturz gekommen.
Also wird es sicherlich noch lange Gewalt geben, richtig?
Amirpur: Es könnte noch dauern, und es wird sicherlich weiterhin so gewaltvoll vonstattengehen, wie es das ja jetzt auch schon tut. Es gibt harsche Todesurteile gegen junge Menschen, die nur auf die Straße gegangen sind. Die werden angeklagt unter dem Vorwurf, Krieg gegen Gott zu führen. Aber genau das glaubt kein Mensch mehr, dass man nur, wenn man sich auflehnt, Widerstand übt, dass man dann wirklich einen Krieg gegen Gott führt. Insofern ist da die Bevölkerung schon sehr viel weiter als das Regime selbst.
Sie sind in Köln geboren, in Deutschland aufgewachsen. Wie ist Ihre emotionale Bindung zum Iran und zu den aktuellen Vorgängen dort?
Amirpur: Die ist durchaus sehr stark. Ich habe auch viele Jahre in Iran gelebt, war oft dort, was allerdings eher mit meinem beruflichen Werdegang zu tun hat. Ich habe Islamwissenschaften studiert, promoviert und bin jetzt Professorin für Iranistik. Aber ich habe noch Familie und sehr viele Freunde in Iran, und das, was denen dort passiert, bewegt mich und wühlt mich emotional auf. So geht es allen Deutsch-Iranern im Moment in Deutschland - wir haben seit sechs Monaten nicht mehr richtig gut geschlafen, weil man jeden Morgen aufwacht, sofort auf das Handy schaut. Gerade im Dezember und im Januar hat man täglich damit gerechnet, dass schon wieder jemand hingerichtet worden ist. Das ist insgesamt eine wahnsinnig emotional-aufwühlende Zeit.
Ist der heutige Tag für sie ein besonderer Tag? Feiern Sie vielleicht sogar dieses persische Neujahrsfest?
Amirpur: Ja, natürlich. Ich feiere traditionsgemäß zweimal im Jahr den Beginn eines neuen Jahres. Ich habe damit kein grundlegendes Problem, am 1. Januar "frohes neues Jahr" zu sagen, und auch heute Abend. Der Jahreswechsel ist um 22:25 Uhr mitteleuropäischer Zeit, und dann wünscht man sich unter Iranern ein frohes neues Jahr. Früher hat man anlässlich dieses Tages gesagt: "Noch hundert Jahre wie diese Tage." Inzwischen sagt man: "Hundert Jahre besser als diese Tage." Es ist natürlich auch ein sehr trauriges Fest in diesem Jahr, weil man der vielen Toten gedenkt, die das letzte Jahr gebracht hat. Verbunden ist es mit einer Hoffnung, dass das neue Jahr vielleicht besser wird. Aber insgesamt ist es eine wahnsinnig gedämpfte, gedrückte Stimmung, in der man dieses neue Jahr begeht.
Das Interview führte Julia Westlake.