Horrorliteratur: Was macht Schauergeschichten so gruselig?
Ob in Literatur, Film oder Kunst: Der Grusel übt eine Faszination auf uns aus. Was macht Geschichten besonders schaurig? Eine kulturelle Betrachtung.
Das jüngste Beispiel des wohligen Grusels in der Popkultur ist vielleicht die Netflix-Serie "Wednesday". Das Internat, das Wednesday Addams, Spross der schaurig-exzentrischen Addams Familiy, besucht und in dem sie lernt, ihre Visionen zu deuten, trägt den Titel "Nevermore-Academy" (zu Deutsch "Nimmermehr"-Akademie). Das "Nevermore" bezieht sich auf einen der prominentesten Vertreter der Schauergeschichte: den amerikanischen Schriftsteller Edgar Allen Poe und sein Gedicht "Der Rabe".
Auf das Gedicht "Der Rabe" von Poe wird in etlichen Schauergeschichten- und Filmen zurückgegriffen. Poe, wie auch Kafka oder Mary Shelly und Bram Stoker haben Standards gesetzt, was die Schauerliteratur angeht. Mit "Die Verwandlung" vereint Frank Kafka gleich mehrere Gruseltopoi. Die Angst davor, nicht der zu sein, der man ist. Die Angst vor dem Schlafen und vor dem Aufwachen als ein anderer, die Angst vor Insekten.
Grusel und Schauer durch Transformation
Die Verwandlung, der Übergang zwischen der Welt der Lebenden und der Toten, das Übersinnliche, das alles sind zentrale Motive der Schauergeschichte. Bei Vollmond verwandeln sich normale Menschen in Werwölfe, bei Nacht gehen die Vampire um, nach dem Tod werden die Verstorbenen zu Geistern. Das alles spielt selbstverständlich auch im Zauberer- und Hexen- Internat Hogwarts eine Rolle. Wobei die Erzählungen um Harry Potter und seine Freunde, eine solch wilde Melange aus Fantasy, Krimi und Coming-of-age- Geschichten sind, dass eine genaue Zuordnung schwerfallen dürfte.
Auch Annette von Droste Hülshoff wusste bereits um die Macht des Schaurigen.
"O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt, O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche!" "Der Knabe im Moor" - Zitat von "Annette von Droste-Hülshoff
Gruseln vor dem Unerklärlichen
Schauer bedeutet: Da ist etwas, was wir nicht erklären können, da ist ein offener Raum der Möglichkeiten - diese können gut oder schlecht sein, angreifen oder abwarten, näherkommen oder im Ungefähren verharren. Beim Schaurigen beginnt die Kopfhaut zu kribbeln, stellen sich die Nackenhaare auf, bricht einem der kalte Schweiß aus. Schauer ist nicht laut. Schauer passiert in einem selbst.
Natürlich ist da auch ein subtiler Spaß dabei, solche Geschichten zu lesen, zu hören oder auf der Leinwand zu sehen. Für manche Menschen ist das durchaus entspannend, sich einen Horrorfilm anzuschauen, denn nur dann können sie dem eigenen Kopfkino, den kreisenden Gedanken entkommen. Man kann in Schauergeschichten aber auch eine Art Übung sehen: Indem man sich mit der eigenen Angst konfrontiert, lernt man, diese zu überwinden oder zumindest einen Umgang damit zu finden.