Historiker Ewald Frie erhält den Deutschen Sachbuchpreis
Der Historiker Ewald Frie erhält den Deutschen Sachbuchpreis für sein Buch "Ein Hof und elf Geschwister". Die Preisverleihung fand in der Hamburger Elbphilharmonie statt.
Der Jubel im gut gefüllten Kleinen Saal der Elbphilharmonie ist groß, als die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, den Gewinner nennt. Ewald Frie, der vor der Bühne mit den weiteren sieben nominierten Autorinnen und Autoren gespannt gewartet hat, schlägt sichtlich gerührt sekundenlang die Hände vor das Gesicht und muss sich erst einmal sammeln. Dann tritt der 60-Jährige Historiker ans Rednerpult. "Der heutige Abend ist der zweite Teil eines Doppelsiegs, denn 'Wolke zwei', der erste Star der Kuh-Herde meines Vaters, gewinnt heute zum zweiten Mal", erklärte Frie.
Kann man die Auszeichnung einer Kuh auf einer Landwirtschaftsausstellung 1950 mit der Auszeichnung für ein Buch von heute vergleichen, in dem diese ebenfalls eine Rolle spielt? Doch genau darum gehe es in seinem Buch, sagt Ewald Frie: die Frage, wie das bäuerlichen Leben in ein, zwei Generationen untergangen ist, so dass wir seine Werte und Regeln heute nicht einmal mehr für möglich halten.
Jury lobt Fries Zugang zu "einer Welt im Wandel"
Die Perspektive auf diesen Veränderungsprozess sei "persönlich und überraschend", heißt es in der Jury-Begründung, die Karin Schmidt-Friderichs verliest: "In seiner verblüffend einfachen und zugleich poetischen Sprache schafft Frie Zugang zu einer Welt im Wandel - immer empathisch, aber nie nostalgisch. Auf der Basis von Interviews mit seinen Geschwistern hat Ewald Frie ein tiefes und gleichzeitig zugängliches und unterhaltsames historisches Sachbuch verfasst."
Sich ein eigenes Bild auf Basis geprüfter Fakten zu machen, dazu laden Sachbücher ein, sagt Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Gute Sachbücher könnten die Grundlage für eine demokratische Gesellschaft legen, teilt Jurymitglied Stefan Koldehoff vom Deutschlandfunk in einem Einspielfilm mit.
Vorschläge zeigen, was die Gesellschaft beschäftigt
Zugleich zeigten die über 200 eingereichten Bücher, so Jury-Mitglied Jeanne Rubner von der TU München, was eine Gesellschaft beschäftige: der Krieg in der Ukraine etwa oder das Thema Identität, nicht aber - was sie verwundet habe - der Klimawandel. "Ich frage mich auch, ist das Thema schon so unwidersprochen in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Ich glaube nicht, wir sehen es ja auch an den Diskussionen darum. Oder sind die Verlage einfach zu vorsichtig, dass sie meinen, das interessiert keinen mehr, das wird nicht mehr gelesen und gekauft", fragt Jeanne Rubner.
Unerwartete Entscheidung für Fries persönliches Buch
Das Gewinner-Sachbuch hingegen wird jetzt seine Käuferschaft finden. Das leise Verschwinden der bäuerlichen Welt konnte sich gegen medienpräsente Themen, wie den Umgang mit Geflüchteten oder wie wir Arbeit gerechter organisieren, durchsetzen. Eine unerwartete Entscheidung, doch durch die Verknüpfung von Wissenschaft und persönlichem Zugang ein Sachbuch, das Lust darauf macht, entdeckt zu werden. Oder wie der Preisträger mit Blick auf die sieben weiteren Nominierten sagt: "Es lohnt sich, in alle reinzuschauen und mit allen Autorinnen und Autoren zu denken."
231 Titel waren im Rennen
Insgesamt hatten sich 128 Verlage mit 231 Titeln beworben. Preisträger Ewald Frie erhält 25.000 Euro, die sieben anderen Nominierten bekommen je 2.500 Euro. Im vergangenen Jahr wurde "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration" von Stephan Malinowski ausgezeichnet. Der Preis wird von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vergeben. Schirmfrau des Preises ist die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne).