"Heimatsehnen" erinnert an DDR-Zwangsaussiedlung
Vor 70 Jahren fand die erste große Welle der DDR-Zwangsaussiedlungen im Amt Neuhaus statt. Anlass für die Journalistin Karin Toben die Schicksale der Betroffenen in einem Buch darzustellen. Es ist bereits ihr viertes Buch zu diesem Thema.
Friedrich Wilhlem Hauel ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Vockfey geboren, einem kleinen Ort im Amt Neuhaus, direkt an der Elbe. Hauel erinnert sich noch genau an den Tag im Juni, er war gerade sechs Jahren alt, als sich plötzlich alles änderte: "1952 bekamen wir von zwei Männern Besuch, die gesagt haben, dass wir innerhalb von 48 Stunden weg müssen. Mein Vater war gar nicht auf dem Hof, meine Mutter und meine Großmutter waren nur da und wir als Kinder. Dann ist meine Mutter ins Dorf losgefahren und hat meinen Vater geholt. In jedem zweiten Hof war das gleiche Theater wie bei uns, dass sie raus mussten."
Der heute 75-Jährige erinnert sich, dass die Familien für den überstürzten Aufbruch einen ein LKW gestellt bekommen hat: "Wir haben dann alles aufgeladen, was wir für notwendig angesehen haben. Wir haben ja nicht gedacht, dass wir für immer weg waren. Wir dachten, wir kommen irgendwann wieder." Alle ihre Tiere musste Familie Haul zurücklassen: "Wir hatten eine Schimmelstute, die hatte ein Fohlen und die war kopflos, die lief auf und ab und alle fuhren weg. Das war nicht schön."
Zwangsumsiedlung: Unrecht, das nicht vergessen werden darf
Zu ihrem Hof kehrte Familie Hauel nicht wieder zurück. Zwei Jahre lang wurde sie von einer Unterkunft zur nächsten geschickt. Fünfmal mussten sie immer wieder ihre Sachen packen, bis sie sich schließlich in Neuhaus bei einem Freund niederlassen konnten, etwa 10 Kilometer von ihrer alten Heimat entfernt. Ihr Haus in Vockfey befand sich nun im Sperrgebiet, und verfiel.
Das konnte der Vater von Friedrich Wilhelm Haul beobachten. Als Briefträger durfte er das Sperrgebiet betreten. Eines Tages musste er mit ansehen, wie sein Elternhaus abgerissen wurde: "An dem Tag bin ich nach Hause, da saß mein Vater in der Sitzecke und weinte. Er hat gesagt, jetzt fahre ich ein paar Tage nicht nach Vockfey, ich kann das nicht ansehen."
Ein Unrecht, das nicht vergessen werden darf, findet die frühere Journalistin Karin Toben. In ihrem Buch "Heimatsehnen nimmt kein Ende" hat sie die Schicksale von 20 vertriebenen Familien festgehalten. Allein in Vockfey seien rund zweidrittel der Bewohner ausgewiesen worden.
"Heimatsehnen" hält Erinnerung lebendig
Warum die einen gehen mussten und andere bleiben durften, das hätten die Betroffenen nie offiziell erfahren, sagt Toben. Das sei größtenteils Willkür gewesen: "Ich hab in den Kreisarchiven geforscht und habe nur ein einziges Mal Dokumente gefunden. Das war die Liste der Ausgesiedelten. Da hat jemand Bemerkungen an den Rand geschrieben, die so einen Art Begründung waren, z.B.: hört RIAS, Buntmetallhortung, oder sieht West-Fernsehen."
Auch Familie Hauel hatte keine Ahnung, warum sie aus ihrem Haus vertrieben wurde. Ein Unrecht, das die Familie tief geprägt hat, sagt Friedrich Wilhelm Hauel: "Die Eltern waren gezeichnet für ihr Leben, kann man so sagen." Ein Trost für Friedrich Wilhelm Hauel gab es doch noch. Nach der Wende durfte seine Tochter auf demselben Grundstück ihr Haus bauen und dort leben: "Wir freuen uns, dass da jetzt ein Haus steht, und dass unsere Kinder sich da wohl fühlen."
Friedrich Wilhelm Hauel freut sich über das Buch "Heimatsehnen" von Karin Toben. Dank der Fotos und der Geschichten über seine Familie und die seiner früheren Nachbarn bleibt die Erinnerung erhalten: "Das ist ein Buch für ruhige Zeiten, wenn man alleine in der Stube ist, und das alleine durchlesen kann: dann kann man nämlich auch mal weinen."