Auch ist das vielleicht nicht eigentlich Liebe,
wenn ich sage, dass du mir das Liebste bist;
Liebe ist, dass du mir das Messer bist,
mit dem ich in mir wühle.
Diese Worte richtete Franz Kafka im Herbst 1920 an Milena Jesenská.
Aus dem Grunde
der Ermattung
steigen wir
mit neuen Kräften
Dunkle Herren
welche warten
bis die Kinder
sich entkräften
Tagebuch, 15. September 1912
Mein Großvater pflegte zu sagen:
"Das Leben ist erstaunlich kurz.
Jetzt in Erinnerung drängt es sich mir so zusammen,
daß ich zum Beispiel kaum begreife,
wie ein junger Mensch sich entschließen kann,
ins nächste Dorf zu reiten,
ohne zu fürchten, daß
- von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen -
schon die Zeit des gewöhnlichen,
glücklich ablaufenden Lebens
für einen solchen Ritt bei weitem nicht hinreicht."
Aus dem Prosaband "Ein Landarzt", 1919
Die dir zugemessene Zeit ist so kurz, dass du,
wenn du eine Sekunde verlierst, schon dein ganzes Leben verloren hast,
denn es ist nicht länger;
es ist immer nur so lang wie die Zeit, die du verlierst.
Aus Kafkas Prosastück "Fürsprecher", 1922
In der abendlichen Sonne
sitzen wir gebeugten Rückens
auf den Bänken in dem Grünen.
Unsere Arme hängen nieder,
unsere Augen linzeln traurig.
Und die Menschen gehn in Kleidern
schwankend auf dem Kies spazieren
unter diesem großen Himmel,
der von Hügeln in der Ferne
sich zu fernen Hügeln breitet.
Kafka, F., Briefe. An Hedwig Weiler, 29. August 1907
"Ach", sagte die Maus,
"die Welt wird enger mit jedem Tag.
Zuerst war sie so breit,
daß ich Angst hatte,
ich lief weiter und war glücklich,
daß ich endlich rechts und links
in der Ferne Mauern sah,
aber diese langen Mauern eilen
so schnell aufeinander zu,
daß ich schon im letzten Zimmer bin,
und dort im Winkel steht die Falle,
in die ich laufe." -
"Du mußt nur die Laufrichtung ändern",
sagte die Katze
und fraß sie.
Aus: "Die Erzählungen" Originalfassung, Herausgegeben von Roger Hermes, Fischer Verlag 1997.
Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.
In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.
Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.
Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.
Aus einem Brief Kafkas vom 9. November 1903, in dem er als Zwanzigjähriger seinem Schulfreund Oskar Pollak von "einigen Versen" schreibt, die er "in guten Stunden lesen" möge.