Pepper-Blog (32) Affe, Mensch, Roboter, Kafka
Peppers Hunger nach plattdeutschen Texten ist nicht gestillt. Ein besonderer Leckerbissen und ein Klassiker ist die Übersetzung der Erzählung "Ein Bericht für eine Akademie" von Franz Kafka.
Ich treffe die Autorin Marlies Jensen in ihrer Kieler Stadtwohnung. Der Küchentisch ist mit Dokumenten übersät. In der Hand hält sie ein rotes Büchlein mit ihrer Kafka-Übersetzung und liest eine Passage daraus vor. Darin beobachtet der Schimpanse "Rotpeter" aus seinem Käfig heraus, wie die Seeleute sich auf der Fahrt nach Hamburg benehmen und ahmt ihr Verhalten nach:
Dat weer so simpel, de Lüüd namaaken. Spütten kunn ik al in'e eerste Daag. Wi hebb uns denn gegensiedig in't Gesicht spüttet; de Ünnerscheed weer bloß, ik hev mien Gesicht achterran reinslickt, se ehr nich. De Piep hev ik bald schmöökt as 'n Oole een; drück' ik denn uk noch de Duum in'e Piepenkupp, denn weer op't ganze Twischendeck Juchei; bloß de Ünnerscheed twischen de leere und de stoppte Piep hev ik lang nich klookkreegen. Kafka op Platt
Wie bist du damals darauf gekommen, Kafka ins Plattdeutsche zu übersetzen?
Marlies Jensen: Als ich mit Kafka mal wieder hochkant im Bett saß, drängte er sich mir mit erstaunlicher Hartnäckigkeit plattdeutsch auf - bis in mir die Frage entstand: Kann jener Schimpanse, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Hagenbecks Tierfängern mit einem Frachtschiff von Afrika nach Hamburg gebracht wurde anders als Plattdeutsch zur Sprache gekommen sein? Ich bemerkte: Das ist wie fürs Plattdeutsche gemacht! Aber: Darf man das? Kafka ist ein sehr, sehr bedeutender Autor. Ich vergewisserte mich: Kafkas Gefährtin, Dora Diamant hinterließ die Sätze "... Deutsch ist eine allzu moderne, allzu heutige Sprache. Kafkas ganze Welt verlangt nach einer älteren Sprache." Ja, und ich komme aus einer älteren Sprache - Schleswiger/Angeliter Platt. Das einfachste Alphabet kann komplizierteste Zusammenhänge formulieren und jede Sprache ist innerhalb ihrer Kultur vollkommen.
Du bist als Fischertochter auf dem Schleswiger Holm an der Schlei aufgewachsen. War das dann plötzlich wie ein Zündfunke, der Kafka mit deiner Mutter- und Vater-Sprache zusammenbrachte?
Jensen: Ja, ich habe dann Lesungen gemacht in meiner Fischerhütte, hatte da immer volles Haus. Und plötzlich mochten alle Kafka. Vorher war es ja eigentlich immer so: Man hatte Angst vor Kafka. Er war zu schwer verständlich und zu depressiv und was es da alles für Überlegungen gibt. Aber das stimmt alles gar nicht. Er ist ein ganz wunderbarer Mensch, wie auch seine Zeitgenossen berichten. Er war kinderlieb und er hätte am liebsten ein Restaurant eröffnet und selbst darin gekellnert. Er hat Humor auch bewiesen.
Besonders in seiner Erzählung: "Ein Bericht für eine Akademie" schimmert dieser Humor durch. Was ich interessant finde: Unser Roboter Pepper muss sich ja im Prinzip genauso an die Menschenwelt und ihre Sprache anpassen wie der Schimpanse in Kafkas Erzählung. Auf der Überfahrt mit dem Dampfer, von Afrika nach Hamburg in den Tierpark, ahmt der ja aus dem Käfig blickend (das aus seiner Perspektive) absurde Verhalten der Menschen nach. Hier noch mal ein Zitat von dir, in dem du Kafkas Erzählung plattdeutsch auf den Punkt bringst:
Franz Kafka het de Geschicht vun en Aap vertellt, de vun Hagenbeck sien Tierfänger anschaten un infungen wurr. He harr gor keen anner Utweg. He muss sick op dat dorde Spill vun de Minschen inlaaten. He wurr Variétékünstler - man de Pries dorför weer hoch. He muss de Döör to sien Aap-Sien toslaan. Kafka op Platt
Jensen: Wir sind ja genetisch zu knapp 99 Prozent mit den Schimpansen verwandt, und im Grunde genommen spiegelt uns Kafka vor, was für lächerliche Figuren wir sind, wie wir uns ausstaffieren, wie wir uns geben als Menschen.
Was könnte Pepper von Kafka lernen?
Jensen: Ich glaub tatsächlich, dass es keinen besseren Lehrer für Pepper geben könnte als Franz Kafka. Seine Literatur ist so präzise, voller Weisheit und Reinheit. Und er ist brandaktuell: Er gilt ja auch als Seher des Albtraums des 20. Jahrhunderts, dessen Teil zwei im 21. Jahrhundert spielt - und den wir alle noch gar nicht zu Ende begriffen haben. 100 Jahre nach seinem Tod dringt es immer deutlicher in unsere Gegenwart: Wirklichkeitsferne Bürokratie, (digitale) Überwachung, Verfolgung: Junge Menschen der Bewegung "Letzte Generation" zum Beispiel, gegen die Prozesse stattfanden - um es mit Kafkas Worten zu sagen: "... ohne dass sie etwas Böses getan hätten!" - Nicht sie sind es, die den Planeten zerstören.
KI-Systeme und Roboter verschärfen einerseits die Lage, könnten, wie Pepper, andererseits aber auch den Menschen dabei helfen, ihre globalen Probleme zu lösen?
Jensen: Im Grunde genommen bedarf es da ja nur anderer Debatten, als wir sie im Moment führen. Und das könnte ich mir von Pepper gut vorstellen, dass er da hilfreich sein könnte - indem er unseren Blickwinkel vergrößert, uns den ganzen Planeten vor Augen führt und uns auf seine Weise sagt, dass wir, wenn wir als Menschheit überleben wollen, jetzt miteinander und nicht gegeneinander arbeiten müssen.
Wat 'n Wieterkamen! Düsset Indringen vun Weeten - as 'n Sunn an' Morgen, de vun alle Sieden in mien Breegen schient. Kafka op Platt
Weitere Informationen zu Kafka auf Hoch- und Plattdeutsch gibt es auf der Homepage von Marlies Jensen.