Falladas Briefe aus dem besetzten Frankreich
Erstmals werden Briefe Hans Falladas veröffentlicht, die er 1943 aus Frankreich an seine Frau im mecklenburgischen Carwitz schrieb. Der Schriftsteller war damals als Reichsarbeitsdienst-Sonderführer eingesetzt.
Fallada ist berühmt, als er die bisher unveröffentlichten Briefe schreibt. Zehn Jahre zuvor ist sein Welt-Bestseller "Kleiner Mann - was nun?" erschienen, das war kurz vor der Machtergreifung der Nazis. 1943 hat er zunehmend Probleme mit ihnen, Fallada will aber nicht ins Exil. Er hat Angebote als Drehbuchschreiber in Hollywood, aber das beschauliche mecklenburgische Carwitz ist ihm lieber. Eine alte Bekannte hat ihn für den Reichsarbeitsdienst ins Gespräch gebracht.
Carsten Gansel: Herausgeber der Fallada-Briefe
Der Neubrandenburger Carsten Gansel ist der Herausgeber der Briefe, die Fallada während seiner Zeit beim Reichsarbeitsdienst der Nazis im besetzten Frankreich zwischen Mai und September 1943 an seine Frau Anna Ditzen schreibt, die er Suse nennt. "Er hat nicht euphorisch zugesagt. Er schrieb in einem Brief, dass man sich solchen Anforderungen nur noch bedingt widersetzen könne. Also es gab keine jubelnde Zustimmung für den Reichsarbeitsdienst zu arbeiten. Das andere ist sicherlich, dass Fallada es gar nicht so verkehrt fand, einfach aus Carwitz rauszukommen, weil sich die Ehe zu dieser Zeit durchaus in einer krisenhaften Situation befand."
Gleich zu Beginn lässt der Reichsarbeitsdienstler Suse wissen: "Vorläufig gefällt es mir herrlich. Ich komme mit meinem Französisch ausgezeichnet durch, spreche bei weitem am besten von allen Offizieren, die ich bisher kennengelernt habe. Ich werde maßlos verwöhnt. Das Essen ist vorzüglich, das Wetter herrlich." Und im selben Brief vom 21. Mai 1943 schwelgt er: "Gott, was bin ich doch für ein großes Tier, ich habe das noch nicht gewußt!"
Hans Fallada sieht sich selbst als Berühmtheit
Als eine Mischung aus Ironie und Selbstreflexion wertet Herausgeber Gansel im Nachwort diese und ähnliche Passagen. Die hochangesehenen Eltern Ditzen könnten quasi stolz auf ihren Sohn sein. Rudolf Ditzen, der sich seit Beginn seiner Schriftstellerlaufbahn Fallada nennt, hatte sich lange als Versager gefühlt. Die Aufgabe des berühmten Autors ist es nun, während des Reichsarbeitsdienstes die Soldaten kulturell bei Laune zu halten. "Als ich gestern den Vortrag, der eine wunderhübsche Mischung von Groteskem und gut Beobachtetem brachte, hinter mir hatte, ging ich in die Fronttheatervorstellung, natürlich als Ehrengast in die erste Reihe. Man macht sich wirklich keine Vorstellung, wie berühmt ich bin! Mässiges Lustspiel, bei dem die Arbeitsmänner nicht sehr mitgingen, dann Zusammensein mit den Schauspielern bis morgens halb drei.", berichtet er am 24. Mai 1943 an Suse.
In Briefen schildert er die Lage in Frankreich
Der 50-Jährige soll eigentlich ein Tagebuch für die Nazis in dieser Zeit schreiben, wahrscheinlich nimmt er diese Aufgabe nicht allzu ernst. Stalingrad ist seit drei Monaten vorbei, in Mecklenburg leidet seine Familie unter Entbehrungen und den Luftangriffen. Fallada kann helfen, ergattert eine Uhr und Bezugsscheine für Schuhe. In seinen Briefen nach Hause schildert er, was er im besetzten Frankreich sieht. "Außerdem scheinen die Franzosen noch sehr viel weniger zu fressen haben als wir. Es geht ihnen wirklich schlecht, nirgendwo noch sah ich seit der Inflation so viele Elendsgestalten wie in Paris." (Brief vom 31. Mai 1943)
Hans Fallada: Briefe schließen Lücke in Biographie
Falladas Reichsarbeitsdienst-Briefe zeigen weder, dass er für die Ideologie der Nazis empfänglich war noch das Gegenteil. Sie schließen eine Lücke in seinem Gesamtwerk. Für Carsten Gansel, der an der Universität Gießen Literaturwissenschaft lehrt, bestätigen sie das bisherige Fallada-Bild. "Fallada ist kein Opportunist gewesen. Fallada stand in Distanz zu den Nazis. Er ist nie ein Nazi gewesen. Insofern ist das eine Episode in seinem Leben. Es rundet die Sicht auf Fallada ab. Es bestätigt die Sicht auf Fallada."
Das Buch ist dennoch eine große Entdeckung. Die Ausgrabungen von Carsten Gansel sind im Verlag "Das kulturelle Gedächtnis" erschienen, aufwendig und modern gestaltet in einer bibliophilen Ausgabe mit einer Karte von Falladas Frankreich-Reise und in einem bunten Leineneinband. So kommen 80 Jahre alte Briefe auch gestalterisch im Heute an.
Hans Fallada - Die R.A.D. Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943
- Seitenzahl:
- 157 Seiten
- Verlag:
- Das kulturelle Gedächtnis
- Veröffentlichungsdatum:
- Oktober 2022
- Preis:
- 24 Euro €