Das Mädchen aus den Sümpfen
Bisher hat die Amerikanerin Delia Owens gemeinsam mit ihrem Mann Bücher über Tiere in Afrika geschrieben. Vor einigen Jahren ist sie nach North Carolina gezogen, in eine Region, die sie seit ihrer Kindheit intensiv kennt. In dieser Landschaft spielt ihr erster Roman: "Der Gesang der Flusskrebse". Es ist eine Art Verbeugung vor der Schönheit dieser Sumpflandschaft und der dort lebenden Tierwelt, eine grandios erzählte Liebesgeschichte und ein packender Kriminalroman. Insgesamt ein Lektüreerlebnis, wie man es selten findet.
Es würde mich einfach sehr wundern, wenn dieses Buch kein Riesenerfolg in diesem Herbst wird. Man kann in die Lektüre hineingleiten wie in frisches, kühles Wasser und in langen Zügen in seiner Klarheit schwimmen. Delia Owens verfügt über die seltene, erquickende Gabe, reiches Wissen auszuschütten, ohne damit zu langweilen. Es beginnt:
"Marschland ist nicht gleich Sumpf. Marschland ist ein Ort des Lichts, wo Gras in Wasser wächst und Wasser in den Himmel fließt." Leseprobe
Ein Mädchen namens Kya wächst in dieser Landschaft auf und lernt sich hier zu bewegen, zu ernähren, zu überleben in ganz kleinen und großen Schritten, behutsam, und umsichtig, obgleich - oder weil - sie ein wirklich schwer zu ertragendes Schicksal hat.
Wer hat ein Motiv für einen Mord?
Irgendwann wird es in diesem Roman eine Leiche geben und nur ein Mensch hatte ein wirkliches Motiv, den Mord zu begehen:
"Am Morgen des 30. Oktober 1969 lag die Leiche von Chase Andrews in dem Sumpf, der sie sich bald lautlos, gelassen einverleibt hätte. Für alle Zeit verborgen." Leseprobe
Damit sind zwei der vier Geschichten, die in diesem Roman kühn miteinander verflochten sind, angetippt. Im Mittelpunkt steht immer Kya, die sechs Jahre alt ist, als sie früh morgens barfuß in die Küche tapst und gerade noch sieht, wie ihre Mutter weggeht:
"Kya wollte ihr hinterherrufen, aber sie hatte Angst, Pa zu wecken, deshalb öffnete sie nur die Tür und trat auf die wackeligen Holzstufen. Von dort konnte sie den blauen Koffer sehen, den Ma in der Hand trug. Normalerweise wusste Kya mit dem Vertrauen eines jungen Hundes, dass ihre Mutter zurückkommen würde ... Aber sie trug nie die Krokoschuhe, nahm nie einen Koffer mit." Leseprobe
Kya ist das jüngste von fünf Kindern. Der Vater ist ein vom Krieg verwüsteter Mann, der trinkt, seine Frau und seine Kinder brutal schlägt. Die Familie lebt in einem klapprigen Haus, im Sumpf versteckt, fast nur per Boot zu erreichen. Drei ihrer älteren Geschwister verschwinden kurz nach der Mutter, ein Bruder bleibt noch kurze Zeit bei ihr, ehe er sich selbst ebenfalls in Sicherheit bringt.
Allein in den Sümpfen North Carolinas
Dann lebt sie ein Jahr mit dem Vater allein, der in dieser Zeit noch versucht, ein anderer, besserer Vater zu werden. Er nimmt seine Tochter zum Fischfang mit. Dann verschwindet auch er. Kya ist etwas über sieben Jahre alt und allein auf sich gestellt. Sie ist klug und sie lernt täglich etwas dazu. Alle Versuche der Schulbehörde, sie in den Unterricht zu bekommen, scheitern. Aber sie weiß bald mehr über Vögel, Muscheln, Gräser, und wie alles zusammenhängt, als die meisten Erwachsenen. Sie sammelt Federn und sortiert sie nach Arten.
Federn als geheime Botschaften
Sie beschäftigt sich. Es gibt einen Jungen, der ihr schüchtern immer wieder hilft und Federn als Botschaften an geheimen Orten hinterlässt. Mit dem Boot des Vaters fährt Kya zum Fischfang und es gelingt ihr, zuerst Muscheln und dann selbst geräucherten Fisch zu verkaufen. Mit dem Geld beschafft sie sich Lebensmittel, Streichhölzer und Benzin. Dieses Mädchen überlebt praktisch allein in der Wildnis. Delia Owens erzählt von der Einsamkeit und der betörenden Kraft und Liebe zur Natur, mit der ihr dieses Wunder gelingt. Man müsste schon sein Herz im Sumpf versenken, um diesem Buch widerstehen zu können. Und zum Schluss wird auch der Mord aufgeklärt.
Der Gesang der Flusskrebse
- Seitenzahl:
- 460 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- hanserblau im Carl Hanser Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-446-26419-9
- Preis:
- 22,00 €