Buchcover: Edward Brooke-Hitching - Der Atlas des Teufels © Knesebeck Verlag

"Der Atlas des Teufels" versammelt Abbildungen der Unterwelt

Stand: 02.07.2022 06:00 Uhr

Das opulente Buch von Edward Brooke-Hitching zeigt, wie Teufel und Hölle seit Jahrtausenden die Künste inspirieren - als Spiegel menschlicher Abgründe.

von Peter Helling

Wie sieht sie aus, die Hölle? Und was erwartet die Menschen, die dort nach dem Tod landen? Auf diese wirklich "letzten" Fragen hat jede Religion ihre eigene Antwort. Der Bildband "Der Atlas des Teufels" versammelt die beeindruckendsten Abbildungen der Unterwelt und kartografiert die weltweiten Vorstellungen von Hölle, Hades und Jenseits.

Die Hölle hat viele Gesichter

Schon die Behauptung auf der Rückseite ist vollmundig: Autor Edward Brooke-Hitching habe "für sein neues Meisterwerk" einen "Pakt mit dem Teufel" geschlossen. Ist das Eigenlob? Ob es überhaupt zutrifft, zeigt sich erst nach ausführlichem Blättern.

Am 31. Januar im Jahre des Herrn 2019 geschah etwas ganz Außerordentliches. Die Hölle gefror. Zum ersten Mal seit Menschengedenken fiel die Temperatur in der Gemeinde Hell in Michigan auf ein Rekordtief von minus 26 Grad Celsius. Leseprobe

Die Hölle, erfährt man hier, hat eben viele Gesichter und Temperaturen.

Die dunkle Seite der Macht

Beim Aufschlagen des bild- und textreichen Bandes sieht man Charon, den Fährmann, wie er eine Seele über ein tiefblaues Gewässer schippert, den Styx: links ein lieblicher paradiesischer Garten mit Engeln, rechts lodern Feuer, sitzt ein monströser dreiköpfiger Höllenhund und droht der pechschwarze Eingang einer Höhle. Offensichtlich regt die dunkle Seite der Macht die menschliche Fantasie mehr an als das leuchtende Glück.

Weltweit herrscht Einigkeit darüber, dass der Teufel im Dunkeln, Unterirdischen zu finden ist. Nach europäischer Vorstellung stinkt er und hat Hörner. Sofort fällt bei den drastischen Illustrationen auf alten Pergamenten und Papyri auf: In allen Kulturen sorgt die Dämonen-Welt für höllische Schmerzen. Vom alten Ägypten, Mesopotamien, den Inka geht es ins mittelalterliche Europa. In der islamischen Hölle schwellen die Genitalien der Sünder vor lauter Eiter an, gibt es Früchte, die nach flüssigem Blei schmecken.

Wer gesündigt, zu viel gespeist hat, geizig oder untreu war, dem drohen fürchterliche Strafen. Man sieht Rubens‘ pralle Leiber wie Lemminge in den Orkus stürzen, von Dämonen angenagt. Auch im friedliebenden Buddhismus existiert die Hölle, sogar mehrfach. Besonders pikant:

Samghata ist die Hölle der Press-Steine. Große Steinplatten zerquetschen die Sünder zu einer roten Paste. Anschließend kehren die Platten in die Ausgangstellung zurück, die Körper werden wiederhergestellt, und die Prozedur kann von vorn beginnen. Leseprobe

Die höllische Fantasie des Menschen

Lustig ist das gewiss nicht. Mit viel Akribie zeigt der Bildband, wie sich der Mensch das Jenseits vorstellt und welche geradezu höllische Fantasie er entwickelt, um sich die Boshaftigkeiten der Hölle auszudenken. Man erfährt in diesem Teufels-Atlas aber auch, dass sich das Judentum mit der Androhung von Strafen nach dem Tod zurückhält, eine Vorstellung von "Hölle" und "Himmel" gibt es nicht.

Die Texte von Edward Brooke-Hitching sind so prall an Details, dass einem bald der Kopf schwirrt. Natürlich drängt sich der Verdacht auf: Was, wenn dieser Höllen-Voyeurismus zu allen Zeiten ein perfektes Machtinstrument der Herrschenden war? Verräterisch, dass so manche Höllen-Vision im Buch fast wie ein Sex-Club aussieht. An der Hölle hat wohl auch der Prüdeste seine diabolische Freude. Immerhin, um 1600 kam es in England zu einer Zeitenwende. 

Während in Deutschland, den Niederlanden und Spanien der Glaubenskrieg tobte, wich in England die gröbste Bildhaftigkeit von Hölle und Teufel allmählich der psychologischen Neugier. Die Angst vor dem monströsen Ungeheuer war nicht mehr so recht zu vermitteln, und der Teufel nahm menschliche Züge an. Leseprobe

Die Hölle als Spiegel menschlicher Abgründe

Neben der Hölle durchstreift Edward Brooke-Hitching auch Fegefeuer und Paradies. Was in dem opulenten Buch leider fehlt, ist ein Blick in die moderne Medien- und Popkultur. Dennoch zeigt es, wie Teufel und Hölle seit Jahrtausenden die Künste inspirieren, als Spiegel menschlicher Abgründe. Die Hölle, schrieb Sartre, sind schließlich "die anderen". Oder sie steckt tief im Menschen selbst, wenn überhaupt. Mehr können wir nicht wissen, räumt auch der "Atlas des Teufels" mit einem Anflug von Demut ein.

Der Atlas des Teufels

von Edward Brooke-Hitching
Seitenzahl:
256 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff
Verlag:
Knesebeck
Bestellnummer:
978-3-95728-610-9
Preis:
35 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 03.07.2022 | 16:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Fotografie

Bildbände

Ein Bücherstapel liegt auf einem Holztisch vor einer farbigen Wand. © IMAGO / Shotshop

Bücher 2022: Die spannendsten Romane und Erzählungen

Viele aufregende Bücher sind im Jahr 2022 erschienen. Etwa von Yasmina Reza, Ralf Rothmann, Isabel Allende, Kim de l’Horizon und Markus Orths. mehr

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Martina Hefter, Frank Schätzing, Markus Thielemann, Isabel Bogdan oder Lucy Fricke. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur sucht Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Mann mit E-Gitarre und ein Schlagzeuger musizieren auf einer Bühne © NDR

Gerappt und gerockt: Biermann-Gala im Thalia Theater

Wolf Biermann neu vertont: Eine ungewöhnliche Release-Party feierte am Mittwochabend in Hamburg die Lieder des fast 88-Jährigen. mehr

Eine Hand hält ein Smartphone mit dem News-Spiel "NDR Wohn-O-Mat" vor einer norddeutschen Landschaft mit Schafen und Leuchtturm © Fotolia, PantherMedia Foto: JFL Photography, Peopleimages

NDR Wohn-O-Mat: Welcher Wohnort im Norden passt zu dir?