"Der Atlas des Teufels" versammelt Abbildungen der Unterwelt
Das opulente Buch von Edward Brooke-Hitching zeigt, wie Teufel und Hölle seit Jahrtausenden die Künste inspirieren - als Spiegel menschlicher Abgründe.
Wie sieht sie aus, die Hölle? Und was erwartet die Menschen, die dort nach dem Tod landen? Auf diese wirklich "letzten" Fragen hat jede Religion ihre eigene Antwort. Der Bildband "Der Atlas des Teufels" versammelt die beeindruckendsten Abbildungen der Unterwelt und kartografiert die weltweiten Vorstellungen von Hölle, Hades und Jenseits.
Die Hölle hat viele Gesichter
Schon die Behauptung auf der Rückseite ist vollmundig: Autor Edward Brooke-Hitching habe "für sein neues Meisterwerk" einen "Pakt mit dem Teufel" geschlossen. Ist das Eigenlob? Ob es überhaupt zutrifft, zeigt sich erst nach ausführlichem Blättern.
Am 31. Januar im Jahre des Herrn 2019 geschah etwas ganz Außerordentliches. Die Hölle gefror. Zum ersten Mal seit Menschengedenken fiel die Temperatur in der Gemeinde Hell in Michigan auf ein Rekordtief von minus 26 Grad Celsius. Leseprobe
Die Hölle, erfährt man hier, hat eben viele Gesichter und Temperaturen.
Die dunkle Seite der Macht
Beim Aufschlagen des bild- und textreichen Bandes sieht man Charon, den Fährmann, wie er eine Seele über ein tiefblaues Gewässer schippert, den Styx: links ein lieblicher paradiesischer Garten mit Engeln, rechts lodern Feuer, sitzt ein monströser dreiköpfiger Höllenhund und droht der pechschwarze Eingang einer Höhle. Offensichtlich regt die dunkle Seite der Macht die menschliche Fantasie mehr an als das leuchtende Glück.
Weltweit herrscht Einigkeit darüber, dass der Teufel im Dunkeln, Unterirdischen zu finden ist. Nach europäischer Vorstellung stinkt er und hat Hörner. Sofort fällt bei den drastischen Illustrationen auf alten Pergamenten und Papyri auf: In allen Kulturen sorgt die Dämonen-Welt für höllische Schmerzen. Vom alten Ägypten, Mesopotamien, den Inka geht es ins mittelalterliche Europa. In der islamischen Hölle schwellen die Genitalien der Sünder vor lauter Eiter an, gibt es Früchte, die nach flüssigem Blei schmecken.
Wer gesündigt, zu viel gespeist hat, geizig oder untreu war, dem drohen fürchterliche Strafen. Man sieht Rubens‘ pralle Leiber wie Lemminge in den Orkus stürzen, von Dämonen angenagt. Auch im friedliebenden Buddhismus existiert die Hölle, sogar mehrfach. Besonders pikant:
Samghata ist die Hölle der Press-Steine. Große Steinplatten zerquetschen die Sünder zu einer roten Paste. Anschließend kehren die Platten in die Ausgangstellung zurück, die Körper werden wiederhergestellt, und die Prozedur kann von vorn beginnen. Leseprobe
Die höllische Fantasie des Menschen
Lustig ist das gewiss nicht. Mit viel Akribie zeigt der Bildband, wie sich der Mensch das Jenseits vorstellt und welche geradezu höllische Fantasie er entwickelt, um sich die Boshaftigkeiten der Hölle auszudenken. Man erfährt in diesem Teufels-Atlas aber auch, dass sich das Judentum mit der Androhung von Strafen nach dem Tod zurückhält, eine Vorstellung von "Hölle" und "Himmel" gibt es nicht.
Die Texte von Edward Brooke-Hitching sind so prall an Details, dass einem bald der Kopf schwirrt. Natürlich drängt sich der Verdacht auf: Was, wenn dieser Höllen-Voyeurismus zu allen Zeiten ein perfektes Machtinstrument der Herrschenden war? Verräterisch, dass so manche Höllen-Vision im Buch fast wie ein Sex-Club aussieht. An der Hölle hat wohl auch der Prüdeste seine diabolische Freude. Immerhin, um 1600 kam es in England zu einer Zeitenwende.
Während in Deutschland, den Niederlanden und Spanien der Glaubenskrieg tobte, wich in England die gröbste Bildhaftigkeit von Hölle und Teufel allmählich der psychologischen Neugier. Die Angst vor dem monströsen Ungeheuer war nicht mehr so recht zu vermitteln, und der Teufel nahm menschliche Züge an. Leseprobe
Die Hölle als Spiegel menschlicher Abgründe
Neben der Hölle durchstreift Edward Brooke-Hitching auch Fegefeuer und Paradies. Was in dem opulenten Buch leider fehlt, ist ein Blick in die moderne Medien- und Popkultur. Dennoch zeigt es, wie Teufel und Hölle seit Jahrtausenden die Künste inspirieren, als Spiegel menschlicher Abgründe. Die Hölle, schrieb Sartre, sind schließlich "die anderen". Oder sie steckt tief im Menschen selbst, wenn überhaupt. Mehr können wir nicht wissen, räumt auch der "Atlas des Teufels" mit einem Anflug von Demut ein.
Der Atlas des Teufels
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff
- Verlag:
- Knesebeck
- Bestellnummer:
- 978-3-95728-610-9
- Preis:
- 35 €