Ein graues Gebäude mit weißen Fenstern und dem überdachten Eingang. © picture alliance Foto: Lukas Schulze

Bucerius Kunstforum Hamburg: Launige Diskussion zum Thema Lüge

Stand: 15.11.2023 12:27 Uhr

Falsche Aussagen, Lügen, Fake News. Darüber diskutierte am Dienstagabend die Runde im Hamburger Bucerius Kunstforum, bestehend aus Helene Bubrowski, Ole von Beust, Konrad Paul Liessmann und Alexander Solloch. Es war ein launiger Abend.

von Jens Büchsenmann

Alle reden von Künstlicher Intelligenz, dabei sind wir weit entfernt von wirklicher Klugheit, vom Verständnis dieser komplizierten Welt. Stattdessen haben Begriffe wie "Fake News" Konjunktur, einhergehend mit einem gefährlichen Misstrauen Fakten und Wahrheiten gegenüber. "Alles Lüge? Vom Reiz des Postfaktischen" war denn auch der NDR Kultur Hörsalon gestern im Hamburger Bucerius Kunstforum überschrieben. Ein Abend, der hochkarätig besetzt war und sich um die unterschiedliche Wahrnehmung von Lüge und Wahrheit in der Politik drehte. Es war ein launiger Abend. Denn bewusst un-ernst ging Moderator Alexander Solloch das Thema an: "Seit neun Jahren lügen wir Ihnen dreist ins Gesicht. Anständige Bürger aus der Mitte der Gesellschaft haben wir Ihnen hier als fulminante Podiumsgäste vorgeführt und sie gezwungen, zu Themen, die uns das Kanzleramt direkt vorgegeben hat, Stellung zu nehmen. Für all diese bewussten Manipulationen müssen wir uns im Namen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei Ihnen entschuldigen."

Hochkarätige Besetzung für die Diskussion zum Thema "Lüge"

Die ironische Anspielung auf falsche, unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz geschaffener Videos als vermeintliche Entschuldigungen der Tagesschau-Redaktion kam beim Publikum an. Das setzte den Ton dieses Abends. Auf dem Podium saßen ausschließlich Talk-Show-erfahrene Leute, die alle intensiv Bescheid wussten beim Thema Lüge: Helene Bubrowski von der FAZ, Ole von Beust, früherer Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg und der Philosoph Konrad Paul Liessmann aus Wien. Letzterer hat gerade ein Buch mit dem Titel "Lauter Lügen" publiziert, in dem er Verschwörungstheorien "vergnüglich" nennt - seine spezielle Sicht auf Fake-News als Zeiterscheinung. Seine Diagnose: Wahrheit ist relativ - Schwindeln eher die Regel, denn die Ausnahme.

"Die da oben lügen sowieso"

"Es gab nur zwei Philosophen in zweieinhalb Jahrtausenden europäischer Geistesgeschichte. Nämlich Aurelius Augustinus und Immanuel Kant, die gesagt haben: Die Lüge ist unter allen Umständen verwerflich. Unter allen Umständen!", so Liessmann. "Alle anderen Denker, politischen Theoretiker und Moralphilosophen haben immer Fälle konstruiert, wo sie die Lüge als Ausnahme zugelassen haben. Ich weiß nicht, ob unsere Politiker bei der Wirtschaftskrise immer die Wahrheit gesagt haben." Daneben saß die in Hamburg geborene Autorin Helene Bubrowski. Bis vor Kurzem war sie Hauptstadt-Korrespondentin der FAZ, politische Journalistin also. Sie sagte: "Der Unterschied ist der Autoritätenverlust. Heute sagt man, dass das Ressentiment in der Bevölkerung immer größer wird, und die da oben lügen sowieso. Genauso wie die Medien, wie eingangs zitiert. Das heißt, das, was ein Politiker sagt oder was Journalisten schreiben, steht generell unter Verdacht, nicht die Wahrheit zu sein."

Ehrliche Bekenntnisse von Ole von Beust

Von Helene Bubrowski stammt der Begriff Fehlerkultur. Gemünzt natürlich vor allem auf Politiker. Da als Dritter auf dem Podium Ole von Beust saß, der neun Jahre als Erster Bürgermeister die Geschicke der Stadt Hamburg mitbestimmt hat, war es bemerkenswert, was der über eigene Fehler in der Vergangenheit zu sagen hatte: "Ich bin nicht jemand, der rückblickend analysiert und sagt: Da hab ich den Fehler gemacht und zugegeben oder nicht zugegeben. Tatsächlich ist es aber schon so, dass unabhängig von der eigenen Einstellung und der Meinung der Bevölkerung, die Meinung der eigenen Leute oder der Partei einen eher dazu bringen kann, Fehler nicht zuzugeben. Weil die eigenen Leute eigentlich immer erwarten, dass man unfehlbar und immer toll ist. Die Bevölkerung sieht das vielleicht anders, milder."

Der humorvolle Ansatz hat fast alle mitgenommen

Wie überhaupt das Publikum milde war, angesichts des großen Themas Lüge in der Politik, weil anderthalb Stunden eher launig diskutiert wurde. Eine Dame aus dem Publikum sagte im Anschluss begeistert: "Ich fand es super, weil es sehr unterhaltsam auf den Punkt war." Ein anderer Zuschauer freute sich über die Herangehensweise an das Thema: "Ich finde es immer wichtig, das Ganze auch mal in Frage zu stellen, auch ruhig mal mit ein bisschen Humor zu betrachten. Wir sehen vieles viel zu ernst." Es gab aber auch andere Meinungen: "Ich fand das zu sehr auf die Launigkeit hin orientiert, die es zwar erleichtert zu folgen, sich auch mal zu erholen, aber ich hätte mir gerne mehr Tiefendimension erwünscht. Vor allem bei dem, was Lüge ausmacht," resümierte ein Zuschauer nach der Veranstaltung.

Die ganze Diskussion um das Thema Lüge im Bucerius Kunstforum hat NDR Kultur für Sie aufgezeichnet und wird sie in ganzer Länge am 10. Dezember 2023 im NDR Kultur Sonntagsstudio senden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 15.11.2023 | 10:20 Uhr

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