Cover des Bildbands "Wir haben uns lange nicht gesehen" © Hirmer Verlag

Bildband: "Wir haben uns lange nicht gesehen"

Stand: 10.12.2020 10:22 Uhr

Das Museum der "Kunst der Verlorenen Generation" in Salzburg zeigt Werke von Künstlern, die im Nationalsozialismus als entartet galten und will an sie erinnern.

von Annkathrin Bornholdt

Warum sollte es sich lohnen, Werke von Künstlern zu sammeln, die kaum einer kennt und diese Bilder sogar auszustellen? Es gehört in jedem Fall viel Mut dazu und die Überzeugung, das Richtige zu tun. Heinz Böhme sammelt, um an die Menschen zu erinnern, denen das Schicksal oder vielmehr die Geschichte ein freies Künstlerdasein verwehrt hat. Böhme hat für sie sogar in Salzburg ein Museum eingerichtet. Dort zeigt er Werke, die im Nationalsozialismus als entartet galten und er erinnert an ihre Erschaffer. "Wir haben uns lange nicht gesehen" heißt ein Bildband, der einige Werke und Künstler aus der Sammlung Böhme vorstellt.

Hanna Bekker vom Rath setzt sich für ehemals verfolgte Künstler ein

Eine junge Frau mit grünem Hütchen blickt mich vorsichtig an. Sie trägt ein Kleid mit kurzen Ärmeln in erdigen Tönen und steht malend an einer Staffelei. In der rechten Hand hält sie eine Farb-Palette aus Holz und zwei Pinsel. Eine Malerin gemalt von einer Malerin - mit kräftigem, breitem Pinselstrich. Die Erschafferin des Werks ist Hanna Bekker vom Rath, die eine besondere Liebe für ihre Künstlerfreunde hatte.

Bekker vom Rath gehörte zur künstlerischen Avantgarde der 20er-Jahre in Berlin, hatte engen Kontakt zu Karl Schmidt-Rottluff und Alexej von Jawlensky, kannte Paul Klee und Oskar Kokoschka. In den 30er-Jahren bot sie, deren Werke als "entartet" galten, verfolgten Malern in ihren Ateliers in Hofheim und Berlin Zuflucht und organisierte heimlich Ausstellungen. Sie überstand die Nazi-Zeit und setzte sich nach dem Krieg umso mehr für ehemals verfolgte Künstler ein. Heinz Böhme hat mehrere Werke von Bekker vom Rath in seiner Sammlung - vielleicht auch, weil sie aus einer ähnlichen Motivation heraus handelte wie er.

"Für die jungen Künstlerinnen und Künstler waren das plötzliche Malverbot und die fehlenden Ausstellungsmöglichkeiten fatal, vor allem weil die öffentliche Resonanz, die jeder für die Einschätzung seiner Arbeit braucht, fehlte. Das freie Künstlerleben erfuhr eine Unterbrechung von mehr als zwölf Jahren", schreibt die Kunsthistorikerin Gerda Ridler in ihrem Beiwort zum Bildband, in dem auch viele Meisterschüler des bei den Nazis in Ungnade gefallenen Max Beckmann vertreten sind - wie Georg Heck, Anna Krüger, Theo Garvé, Leo Maillet und Karl Tratt.

Verloren, vergessen, verschollen - mit diesen Worten sprechen wir heute über die Werke dieser Malerinnen und Maler. Sie waren Verfolgte aufgrund ihrer Kunst und viele zusätzlich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft.

Heinz Böhme ist ein leidenschaftlicher Sammler

Heinz Böhme, Jahrgang 1932, hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Schicksale ans Licht zu holen. Die Sammelleidenschaft des Mediziners begann schon früh und weitete sich immer weiter aus:

"Sammeln ist eine Sucht - wie Rauchen, Alkohol oder Drogen. Eine Leidenschaft, die nur schwer zu zügeln ist", sagt er selbst. Böhme war beruflich viel unterwegs. Die Reisen und damit verbundenen Museumsbesuche weckten und weiteten sein Interesse für die Lücke in der Kunstgeschichte zwischen 1920 und 1945, um die sich sonst nur wenige Sammler kümmern. Darunter sind auch viele weibliche Schicksale zu finden.

Auch sie sind Opfer von Diffamierungen geworden und litten noch stärker darunter als ihre männlichen Kollegen. Sie verschwanden daher ganz von der Bildfläche und konnten als Mütter und Ehefrauen nach dem Krieg kaum mehr künstlerisch arbeiten und eine eigenständige Entwicklung verfolgen. Leseprobe

"Ich habe eine große Zahl an Künstlerinnen aufgefunden, die meist aus wohlhabenden bürgerlichen Familien stammten. Da ihnen zu ihrer Zeit die Aufnahme an den Akademien verwehrt wurde, gab es private Malschulen, wo sie von anerkannten Künstlern unterrichtet wurden. Auch sie sind Opfer von Diffamierungen geworden und litten noch stärker darunter als ihre männlichen Kollegen. Sie verschwanden daher ganz von der Bildfläche und konnten als Mütter und Ehefrauen nach dem Krieg kaum mehr künstlerisch arbeiten und eine eigenständige Entwicklung verfolgen", berichtet der Sammler.

Auch Verfolgung und Vernichtung sind Thema dieser Sammlung

Porträts, Akte, Landschaftsdarstellungen - sowohl die Sujets als auch die Stile der rund 350 Werke umfassenden Sammlung sind vielfältig. Auch die Themen Verfolgung und Vernichtung tauchen immer wieder auf, wie etwa bei Adolf Frankl, einem Auschwitz-Überlebenden, der das "Inferno" des Konzentrationslagers in einem Bild verarbeitete. Es zeigt ausgemergelte schwarze Figuren, die von Aufsehern mit strengen Gesichtern und herrischen Gesten offensichtlich in die Gaskammern geschickt werden.

Diese Lebensgeschichten, diese besonderen Werken, die es so offensichtlich verdient haben, gezeigt zu werden, denen aber Berühmtheit verwehrt wurde, sind berührend. Darunter auch viele norddeutsche Künstler: Erich Brill, Erwin Hinrichs, Paula Gans, Hilde Hamann. Heinz Böhme ist es zu verdanken, dass sie sichtbar sind in diesem schönen Bildband und in seinem Museum "Kunst der Verlorenen Generation", dass er seit 2017 in Salzburg betreibt. Das hat etwas Tröstendes.

Wir haben uns lange nicht gesehen

Seitenzahl:
272 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
H. R. Böhme, G. Ridler, R. Streibel. Mit einem Geleitwort von Wilfried Haslauer. 300 Abbildungen in Farbe, 22 x 28 cm, gebunden
Verlag:
Hirmer Verlag
Preis:
39,90 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 13.12.2020 | 16:20 Uhr

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