Arbeiterbilder: "Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze"
Hand aufs Herz, sagt Ihnen der Name Hans Baluschek etwas? Falls ja, Respekt! Dann ist Ihnen die deutsche Malerei im frühen 20. Jahrhundert offenbar bestens vertraut. Wer von Baluschek jedoch noch nie gehört hat, kann in diesem Jahr eine Entdeckung machen.
Am 9. Mai jährte sich der 150. Geburtstag des Malers. Wie kaum ein zweiter Künstler hat er auf seinen Gemälden das soziale Elend im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik gezeigt. Dass er damit eine Zeitlang quer zum gesamten angesehenen Kunstbetrieb stand, nahm Baluschek in Kauf. Er malte arme Leute, Außenseiter, Fabrikarbeiterinnen, Proletarier und Prostituierte und zeigte damit die Menschen, die für die feine Gesellschaft als unvorzeigbar galten.
Lokomotiven, Bahngleise und Enge finden sich auf vielen Gemälden Baluscheks. Als feiner Beobachter durchstreift er den abweisend-kalten Lebensraum Großstadt und zeichnet und malt dessen Bewohner. Lächelnde Gesichter sucht der Betrachter dabei vergeblich.
Menschen jenseits der feinen Gesellschaft
Abgehärmt, erschöpft, müde, gar zerlumpt, meist von harter körperlicher Arbeit ausgelaugt, so erscheinen die Menschen auf den Straßen, in Hinterhöfen, an Fabrikmauern und rund um die Mietskasernen, in denen sie hausen, bevor sie am folgenden Tag zu ihrer Arbeit zurückkehren müssen. Dabei zeigt der zweite Blick, dass Baluschek eigentlich keine Individuen malt; eher hält er bestimmte Menschentypen fest.
"Was mich um mich herum irgendwie berührt, ergreift, packt, erschüttert, gibt mir die Impulse zu meinen Bildern. Dann formt sich die Komposition, und aus meinem reichlichen, in meinem Gehirn aufgespeicherten Typenmaterial stellen sich die Figuren ein. Auch vierstöckige Mietskasernen mit ihren Hinterhäusern haben ihren Typ, ebenso wie die Straßenlaternen, Trottoir-Bäume, Eisenbahnsignale und Lokomotiven. Ich habe sie durch Beobachtung in ihrem Wesen erkannt und hebe mit Leichtigkeit das zwingend Charakteristische hervor." Leseprobe
Nichts wird bei Baluschek beschönigt
Zwingend charakteristisch für die deutsche Gesellschaft sind demnach die hängenden Schultern der Arbeiter. Die verbiestert-strengen Gesichter gutbürgerlicher Damen, wie sie über Kaffeekannen lugen und kopfschüttelnd Meinungen austauschen.
Die freudlosen Blicke arrivierter Schnurrbartträger in Uniform - wie auch die Blicke ausgemergelter Arbeiterinnen, die zwar unterschiedlich gut betucht sind, deren Leben aber gleichermaßen wenig Spaß oder gar Glück zu enthalten scheint.
Zu Kaisers Zeiten kehrte mancher Kunstliebhaber diesen Gemälden empört den Rücken - wie es ein Kritiker einprägsam formulierte, enthielten sie: "zu wenig Parfüm und zu viel Pfütze". Aus heutiger Sicht würde man es umgekehrt sehen: Kunst, die zu viel Parfüm und zu wenig Pfütze zeigt, gilt der Gegenwart als beschönigend und banal.
Auch unser eloquenter Kritiker fährt fort: "Nur die wenigsten sahen mit den Augen hinter den Augen", und nutzten ihr feines Gespür, das hinter den mit klarem Strich gemalten Typen wie der Straßendirne, der Kupplerin oder der harten Trinkerin betroffen persönliche Schicksale erkannte.
Vom Außenseiter zur angesehenen Persönlichkeit
Zu Weimarer Zeiten war Baluscheks Malerei plötzlich hoch anerkannt, wurde in großen Ausstellungen gezeigt. Der Maler bekam Aufträge des Berliner Magistrats, arbeitete mit Künstlern wie Käthe Kollwitz zusammen. Auf einmal war aus dem sozial engagierten Außenseiter eine angesehene Persönlichkeit des Kunstbetriebs geworden.
Eines der buntesten Bilder des Bandes ist auch eines seiner spätesten. Im "Großstadtwinkel" von 1929 leuchtet golden eine Gaslaterne im Vordergrund und bescheint eine abendliche Straßenszene, bei der das Licht bunte, gelb-violett-blaue Kleckse auf das Straßenpflaster tupft. Doch die Idylle trügt. Die vielen Damen mit Hut und Pelzkragen warten auf Freier.
Farbglanz und Licht bleiben oberflächlich. Die Wand-Aufschrift "Zu den Paradiessälen" führt sicher nicht in Säle und schon gar nicht ins Paradies. Die frontal den Bildbetrachter anblickenden Frauen mitten auf der Straße lösen Unbehagen und Mitleid aus. Kein Wunder, dass Baluscheks eindringliche sozialkritische Werke wenige Jahre später als "entartet" bezeichnet wurden.
Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze
- Seitenzahl:
- 168 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Beiträge von Anna Grosskopf, Tobias Hoffmann, Fabian Reifferscheidt, Margrit Bröhan, Julia Hartenstein und Sylvia Hinz. 104 farbigen und 8 S/W-Abbildungen, 26,0 x 22,0 cm, Hardcover, Deutsch
- Verlag:
- Wienand
- Bestellnummer:
- 978-3-86832-565-2
- Preis:
- 32,00 €