Autorin Kullmann: Der Luxus, aufs Smartphone zu verzichten
Die Autorin und Journalistin Katja Kullmann hat sich von Anfang an gegen ein Smartphone entschieden. Selbst im Freundeskreis gilt sie damit als eine Art "Freak". Sie betont im Gespräch aber auch, dass sie von vielen digitalen Dramen unserer Zeit verschont bleibt.
Nach dem Karneval beginnt für Christen eine siebenwöchige Fastenzeit bis Ostern. Auch viele säkular orientierte Menschen üben sich in dieser Zeit im Verzicht. Andere Menschen verzichten ihr ganzes Leben lang auf Dinge, die für die Mehrheit selbstverständlich sind - so wie die Buchautorin und Journalistin Katja Kullmann, die unter anderem als Kolumnistin bei der "taz" arbeitet.
Frau Kullmann, Sie haben zwar ein Smartphone, aber Sie benutzen es nicht als solches, richtig?
Katja Kullmann: Ich habe aus beruflichen Gründen ein Smartphone. Das musste ich mir einmal zulegen, um es vorweisen zu können. Ich nutze es aber tatsächlich nicht - außer zum Fotografieren, weil meine alte Digitalkamera abgeschmiert ist. Aber ich übertrage die Bilder, wenn ich unterwegs bin, ganz altmodisch mit USB-Kabel auf meinen Laptop. Von dort lade ich sie dann, meist mit zwei, drei Tagen Verspätung, ins Internet hoch.
Freiwillig auf etwas verzichten heißt auch, man gewinnt etwas. Wie ist es bei Ihnen?
Kullmann: Ich empfinde das nicht als freiwilligen Verzicht, sondern inzwischen eher als Luxus, ohne Smartphone zu leben. Ich habe das nie mitgemacht, in meinem Leben noch nie eine App installiert - außer der Covid-App, als es notwendig war. Ich empfinde diesen Verzicht eher als Gewinn in dem Sinn, da ich weniger abhängig von einem Gebrauchsgegenstand bin. Es gab einige skurrile, satirische Bilder und Witze über das Smartphone in der Zeit, als es damit losging in den späten Nullerjahren.
Die Leute wurden wie verwelkte Tulpen mit hängenden Köpfen in der U-Bahn dargestellt, die alle nur auf ihre Scheibchen schauten und keiner mehr wahrnahm, was drumherum passiert. Das empfand ich als interessante, neue soziale Situation - und bin immer lieber die gewesen, die weiterhin mit erhobenem Kopf in die Welt schaut und die Leute eher beobachtet. Ich habe da immer den Eindruck gehabt, dass ich auch sinnlich mehr von der realen Welt mitbekomme, als wenn ich alles über das Smartphone transportiert wahrnehme.
Ich erinnere mich an eine Zeichnung aus dem Struwwelpeter vom Hans-Guck-in-die-Luft, der im Original in die Luft guckt und in dieser neuen Zeichnung eben nach unten auf sein Smartphone. Beide fallen natürlich ins Wasser.
Kullmann: Ein gutes Beispiel ist auch das Thema Reisen: Beim Spazierengehen ein Restaurant oder ein Antiquariat oder irgendein besonderen Ort zu suchen, ist natürlich schön. Das tue ich übrigens auch, wenn ich reise. Aber dann immer schon in den Bewertungen zu lesen, was andere Leute davon gehalten haben, nervt mich. Es ist mir "too much information", wie die jungen Leute sagen. Ich erkunde die Dinge lieber selbst.
Alle meine Bekannten und Freunde und engere Familienmitglieder haben natürlich ein Smartphone. Jemand, der wie ich keines benutzt, wird zu so einer Art Freak oder Spinnerin im Freundeskreis. Viele Leute beschweren sich, dass es angeblich komplizierter sei, mich zu erreichen, weil man hier keine WhatsApp schicken kann, sondern eine SMS. Was eigentlich vom Vorgang her dasselbe ist.
Aber: Ich nehme am Internet teil, ich habe eine Webseite, ich bin bei Instagram und bei Facebook. Es hat also bei mir weniger etwas damit zu tun, dass ich Datenangst hätte oder das Thema wahnsinnig politisieren will. Es war eine Mischung aus Faulheit, mir dieses neue Gerät anzuschaffen und dass mich dieser Erreichbarkeits-Druck von Anfang an genervt hat oder mir unattraktiv vorkam. Letzteres hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich auch als Journalistin arbeite und das immer mit der beruflichen Verfügbarkeit zu tun hat.
Hat das auch damit zu tun, immer selbst kontrollieren zu wollen, wann man erreichbar ist und wann man nach etwas guckt?
Kullmann: Ganz genau. Und diese Kontrolle hat zum Beispiel auch in privaten Umfeldern für einige Dramen gesorgt. Diese ganzen psychosozialen Begriffe, die jetzt in aller Munde sind wie "Shitstorm", "digitaler Burn-out" oder "Digital Detox" sind eigentlich durch das Smartphone erst als neue soziale Phänomene aufgekommen. Ein weiterer Begriff, der seit zehn, zwölf Jahren erst kursiert, ist digitale Eifersucht. Ich bekomme als Beobachterin Dramen mit, in denen es um die Häkchen-Farben bei WhatsApp geht. Leute beschweren sich darüber, dass eine Person ihre Nachricht schon gelesen, aber noch nicht geantwortet hat.
Dann das Hinterherspionieren von dem eigenen Partner oder der Partnerin mit so einem Tool. Diese Überwachungen, die quasi auf privater Ebene laufen, fand ich von Anfang an wahnsinnig gruselig. Es geht so weit, dass Leute sich auch selber überwachen und tracken, ihre Schritte, den Herzschlag und den Puls zählen. Ich will das niemandem verbieten. Ich bin wie gesagt keine Technikfeindin.
Für mich persönlich finde ich das alles wahnsinnig unattraktiv. Es ist wie so eine "Beelterung", als hätte ich ein Elternteil in der Hosentasche, das auf mich aufpasst und immer schon vorher zu wissen glaubt, was für mich gut ist. Das hat für mich etwas wahnsinnig Kindisches an sich. Ich bin mir aber bewusst, dass die Welt mich für kindisch hält, weil ich mich nicht daran beteilige. Es ist also ein sehr dialektisches Verhältnis.
Das Gespräch führe Philipp Schmid.