Antisemitismus an Hochschulen: "Erlebe sehr wenig Haltung"
Die Attacke gegen einen jüdischen Studenten in Berlin hat viele Menschen schockiert und eine Debatte ausgelöst. Rebecca Vaneeva vom Verband Jüdischer Studierender Nord kritisiert im Gespräch mit NDR Kultur mangelnde Unterstützung von Uni-Leitungen.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sind die antisemitischen Straftaten in Deutschland beängstigend angestiegen. Am vergangenen Freitag ist ein jüdischer Student der FU Berlin mit Brüchen an Nase, Augenhöhle und Wangenknochen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er soll von einem muslimischen Kommilitonen erkannt, verfolgt und dann brutal geschlagen und getreten worden sein. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat Konsequenzen gefordert: Die Hochschulen müssten "ein sicheres Umfeld für jüdische Studierende schaffen".
Antisemitismus-Beauftragter kritisiert Wegschauen der Uni-Leitung
Für Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, hat im konkreten Fall die Leitung der Freien Universität Berlin antisemitischen Entwicklungen zu lange zugeschaut. "Wir sind nicht eingeschritten, wo es geboten gewesen wäre. Wenn Hass und Hetze verbreitet wird, dann muss man mit Mitteln des Ordnungsrechts und auch des Hausrechts arbeiten. Hier ist die Universitätsleitung gefordert, endlich tätig zu werden", sagte er im Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland geäußert: "Hochschulen sind Orte maximaler Freiheit, aber sie sind keine rechtsfreien Räume." Der Zentralrat der Juden hat die Hochschule zur Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters aufgefordert. Die sieht ihre Möglichkeiten in diesem Fall aber als begrenzt an. Höchstens ein Hausverbot sei möglich, heißt es.
Rebecca Vaneeva: "Es wird nichts unternommen"
Rebecca Vaneeva vom Verband Jüdischer Studierender Nord berichtet von einer großen Unsicherheit unter jüdischen Studierenden. "Für jüdische Studierende, erwachsene Jugendliche ist es gerade sehr schwer zu ertragen", sagte sie im Gespräch mit NDR Kultur. Aufgrund der angespannten Lage sei es derzeit sehr schwer, sich offen als jüdisch erkennen zu geben. "Aktuell besteht bei mir eine große Unsicherheit, weil die Debatte sehr aufgeladen geführt wird."
An ihrer Hochschule hat Vaneeva ähnliche Beobachtungen gemacht und meint: "Es gibt da versteckte, aber dennoch ähnliche Zustände. Es gibt Gruppen, die sich gegründet haben, die mittlerweile Aktionen veranstaltet haben, die höchst problematisch waren. Ich erlebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sich sehr einseitiger Quellen bedienen und die sie dann sogar in den Seminaren reproduzieren. Es wird nichts unternommen."
Antisemitismus auf Social Media
Die Aktionen werden teilweise auf Social Media verbreitet. "Seitens der Unileitung gab es keinerlei Benachrichtigungen oder Möglichkeiten für jüdische Studierende, Hilfe zu bekommen. Es gibt keinerlei Anlaufstellen diesbezüglich. Ich erlebe aktuell sehr wenig klare Haltung."
Von der Zivilgesellschaft erwarte sie "Solidarität und Unterstützung", denn oftmals fühlten sich "jüdische Studierende mit ihrem Engagement sehr alleine gelassen". Von der Politik forderte Vaneeva im Gespräch mit NDR Kultur "ganz klare Taten. Denn so kann dieses Thema nicht weitergeführt werden. Die Probleme werden so immer weiter verlagert. Ich fordere da eine härtere Konsequenz."
"Tageszeitung" spitzt im Kommentar zu
Die "Tageszeitung" spitzt das Ganze in einem Kommentar am Mittwoch zu und schreibt: "Prinzipiell und überhaupt gilt der seit Monaten weit verbreitete Judenhass als ekelig und pfuibäh. Nur allzu gerne werden weihevolle Appelle abgelassen, die darauf hinweisen, dass so etwas ganz unschicklich sei, schon gar angesichts der eigenen unangenehmen Nazivergangenheit. Wenn es aber konkret wird, wenn Juden in Deutschland geschlagen, bedroht und eingeschüchtert werden, wenn Judenhass öffentlich verbreitet wird, dann sind die Reaktionen verdruckst."