Würdevolles Sterben: Was ist das Ziel einer Behandlung?

Stand: 25.04.2023 08:34 Uhr

Obwohl die Mehrheit der Deutschen am liebsten zu Hause sterben möchte, verbringen viele ihre letzten Tage und Wochen im Klinikum. Oft wird zu lange behandelt. Ärztinnen und Ärzte sind mit schwierigen Entscheidungen über Leben und Tod häufig auf sich allein gestellt.

Die moderne Medizin kann den Tod sehr lange hinauszögern, umso mehr müssen sich Ärzte Gedanken machen, wann behandeln sie weiter, wann lassen sie sterben. "Das ist eine kulturelle Aufgabe, die Patienten würdig zu begleiten", sagt Uwe Janssens, Intensivmediziner und Sprecher der Sektion Ethik bei der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Bei der Behandlung sei auch zu akzeptieren, "dass der Tod Bestandteil eines therapeutischen Prozesses ist."

Ethikkommissionen können bei Entscheidungen helfen

Uwe Janssens © Screenshot
Uwe Janssens ist Intensivmediziner am St. Antonius Hospital in Eschweiler.

Janssens ist Intensivmediziner am St. Antonius Hospital in Eschweiler. Dort gibt es eine Ethikkommission, bei der Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen darüber beraten, ob die größtmögliche medizinische Behandlung fortgeführt wird oder nicht.

Die Kommission spricht über einen schwer lungenkranken Mann. Er liegt seit mehreren Wochen auf der Intensivstation. Ohne eine dauerhafte Beatmung kann er nicht mehr leben. "Wir haben lange versucht, ihn zu entwöhnen, und sind immer wieder an einer Grenze von vier Stunden gescheitert", sagt Oberarzt Thomas Scholl über den Fall. "Wir glauben nicht, dass die atemmuskuläre Reserve so groß ist, dass man ihn entwöhnen kann."

Heilung oder Linderung des Leidens?

Der Patient, über den die Ethikkommission spricht, hat keine Patientenverfügung und sich im familiären Kreis nie über ein solches Szenario geäußert. "Wir treten auf der Stelle, sehen die Zukunft sehr negativ und auch das Endziel nicht", merkt der Pflegerische Leiter Bernd Rütten an. "Wie weit können wir diese Schritte jetzt noch gehen? Was ist unser Endpunkt?" Die Kommission beschließt unter Einbindung der Angehörigen auf palliativmedizinische Behandlung umzustellen. Also nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung des Leidens in den Mittelpunkt zu stellen.

Ärzte werden mit Entscheidungen häufig allein gelassen

Ethikkomission des St. Antonius Hospital Eschweiler. © Screenshot
Ethikkommissionen wie am St. Antonius Hospital in Eschweiler gibt es nur in wenigen Kliniken.

Ethikkommissionen wie in Uwe Janssens Klinik sind in der Praxis jedoch kaum verbreitet. Die Entscheidung über Leben und Tod wird häufig in die Hände der Ärzte gelegt. Auch weil ein Großteil der Deutschen keine Patientenverfügung hat. "Ich treffe regelmäßig auf Patienten und deren Angehörige, die sich in einem Alter von 85, 90 oder 92 darüber erstaunt zeigen, dass man in einem Stadium ist, bei dem man durchaus mal darüber nachdenken könnte, dass das Leben endlich ist", schildert Janssens seine Erfahrungen aus dem Klinikalltag.

Palliativmediziner Matthias Thöns stellt als Gutachter Überbehandlungen fest: "Wenn ein Patient sagt: 'Ich habe mehr Angst vor Schmerzpflegebedürftigkeit, dass ich noch 20 Jahre an die Decke gucke, ohne mich äußern zu können, dann bin ich lieber tot', das muss man einfach akzeptieren."

Viele Überbehandlungen kommen auch aus Unsicherheit der Ärzte zustande. "Für mich ist es als Arzt viel einfacher, einen Patienten zu intubieren, ihn zu beatmen oder eine Kreislaufunterstützung anzulegen", sagt Uwe Janssens. "Das ist doch viel einfacher, als die schwierige Diskussion zu führen, ob das den Patienten nützt. Aber das ist die Aufgabe, die wir haben: Wir sind dem Patienten verpflichtet und niemand anderem."

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Klinken verdienen Geld durch Überbehandlungen

Die Medizin hat sich darauf noch nicht eingestellt. Es gibt zu wenig ausgebildete Palliativmediziner auf den Intensivstationen. Und: Kliniken können mit der aufwendigen Behandlung am Lebensende viel Geld verdienen. Intensivmediziner Uwe Janssens hält es für fatal, dass oft wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumt offen ein, dass Kliniken gerade am Lebensende oft nach ökonomischen Gesichtspunkten entscheiden: "Krankenhäuser sind zum Teil auf diese Behandlungen angewiesen, um Defizite auszugleichen, die wieder dazu führen würden, dass man in anderen Bereichen nicht so gut behandeln kann."

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Bringt die geplante Krankenhaus-Reform eine Verbesserung?

Lauterbach will mit seiner Krankenhaus-Reform die wirtschaftlichen Anreize reduzieren. "Wir brauchen eine Krankenhaus-Reform, bei der Krankenhäuser nicht darauf angewiesen sind, diese lukrative, sehr invasive, massive Behandlung am Ende des Lebens durchzuführen", sagt Lauterbach. Einige Bereiche im Gesundheitssystem seien so stark durchökonomisiert, dass die Ökonomie oft wichtiger sei als der medizinische und der menschliche Aspekt.

Während in der Klinik das Sterben zum Alltag gehört, ist es in der Gesellschaft immer mehr zum Tabuthema geworden. "Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, was wir wollen und was wir nicht wollen", sagt Uwe Janssens. Ob die geplante Reform wirklich zu einer menschlicheren Medizin führt, bleibt abzuwarten.

Das NDR Fernsehen hat am 24. April die Dokumentation "Wie wollen wir sterben?" gezeigt. In der ARD Mediathek können Sie die Doku sehen.

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