Wie schreibt man einen Krimi? Autorin Claudia Wuttke im Gespräch
Claudia Wuttke hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Nun erscheint ihr erster Krimi unter dem Pseudonym Sia Piontek. Der spielt im Wendland und heißt "Die Sehenden und die Toten".
Die Autorin ist außerdem Vorsitzende der Vereinigung "Mörderische Schwestern", ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, von Frauen verfasste, deutschsprachige Kriminalliteratur zu fördern.
Frau Wuttke, warum veröffentlichen Sie diesen Krimi unter einem Pseudonym?
Claudia Wuttke: Ich habe meinen ersten Roman, meinen zweiten auch noch, unter Klarnamen veröffentlicht. Wenn der nicht so toll performt, also keine 22.000 verkaufte Exemplare oder mehr zu verzeichnen hat, dann sagen die Verlage beim zweiten Buch: Es lief nicht so gut. Wir versuchen es noch einmal neu. Es geht hier auch ums Thema und da ist die Autorenmarke nicht so wichtig. Wenn die Leser und Leserinnen mich unter Claudia Seidel oder Jana Bennings kennen - und jetzt schreibe ich plötzlich Krimis, wo es schon ein bisschen zur Sache geht -, dann erwartet man das im Zweifelsfall nicht unbedingt unter dem Pseudonym. Das sind die beiden Hauptgründe.
Ihr Krimi spielt im Wendland - ist das Wendland ein guter Ort, um Krimis spielen zu lassen?
Wuttke: Da fragen Sie jemanden. Das Wendland ist der beste Ort, um da Krimis spielen zu lassen! Die haben diese friedvolle Weite, diese harmlose Unberührtheit. Letztendlich ist es so eine unscheinbare niedersächsische Idylle. Aber sie haben hinter den Kulissen genau die gleichen Nickligkeiten, Auseinandersetzungen, Drangsale, leidvolle Schicksale, Geschichten, wie Sie sie überall anders auch finden können. Ich finde gerade den Kontrast zwischen dieser idyllischen, unberührten, friedlichen Natur, in die meine Heldin auch kommt, um zu heilen, und dem, was sich dort auch an Gewalt abspielen kann, total spannend.
Also hat es auch mit einer gewissen Revolution, die man den Wendländern nicht zuletzt durch Ereignisse der 80er-Jahre nachsagt zu tun?
Wuttke: Ich habe bislang weder über Castor, noch über Gorleben, noch über Salzstöcke oder Polit-Aktivismus geschrieben. Bislang sind es eher persönlich, emotional motivierte Geschichten. Im übernächsten Buch - das nächste ist schon fertig - soll es um das ländliche Leben gehen, um Höfe, die eine Geschichte haben, die bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreicht. Das politische Wendland habe ich mir als Krimi noch nicht vorgenommen.
Wie viel haben Sie recherchiert für dieses Buch?
Wuttke: So viel wie noch nie in meinem Leben. Ich habe megaviel recherchiert. Wie läuft eine Drückjagd eigentlich ab? Eine Drückjagd ist keine Treibjagd - ich kannte vorher den Unterschied gar nicht. Aber natürlich auch die Gerichtsmedizin: Was macht die eigentlich? Wie wird so ein Toter obduziert? Was kann man herauslesen aus den Wunden? Ich bin sowohl mit dem Leiter der Gerichtsmedizin am UKE in Hamburg im Gespräch als auch mit der Spurensicherung von Lüneburg richtig eng verbandelt. Ohne deren Hilfe hätte ich bestimmte Rechercheschritte, bestimmte Ermittlungsschritte ohne Weiteres gar nicht gehen können.
Krimis sind nach wie vor wahnsinnig beliebt. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Krimi aus? Wie erklären Sie sich die Faszination für Krimis oder auch für Regionalkrimis?
Wuttke: Ich glaube, es sind der Sog und die schlaflosen Nächte, die man damit verbringen kann. Wenn Sie einen Krimi gut schreiben und der eine Spannung aufbaut, dann ist das wirklich der sogenannte oder vielbemühte Pageturner. Man fiebert mit und hetzt dem Ende entgegen, weil man wissen will, was eigentlich passiert ist, was die Hintergründe sind und wer es war.
Insofern ist auch die Konzeption eines Krimis sehr wichtig. Wie geht man da vor? Von hinten nach vorne? Oder können auch Dinge beim Schreiben entstehen?
Wuttke: Auch das ist eine tolle Frage. Ich selber - das kenne das aus meinen anderen Büchern überhaupt nicht - war vollkommen überrascht, welche Eigendynamik meine Charaktere entwickeln und welche Ereignisse meine Charaktere mitbringen, die ich dann schreibe, ohne dass ich mir das vorgenommen habe. Das ist wirklich an manchen Stellen passiert: wie sich etwa auf Seite 220 plötzlich eine Szene auftut, die ich nicht geplant habe, die aber erklärt, warum auf Seite 50 etwas passiert ist, was ich in dem Moment so noch gar nicht zu Ende gedacht hatte. Das Andere ist aber, dass ich meine Krimis von vorne bis hinten komplett durchplotte, weil ich es ganz wichtig finde, die Motivation der einzelnen Figuren sauber zu kriegen und die falschen Fährten so gut legen zu können, dass das hinterher ineinander verzahnt ist und sich wie ein Puzzle zusammenfügt.
Das Interview führte Philipp Schmid.