Fachwerkhäuser in der Altstadt von Hannover © imago

Wie können Kulturräume und Stadtleben stärker zusammenwachsen?

Stand: 19.04.2023 16:09 Uhr

Wie können Städte neu gedacht und geplant werden, damit Kultur sichtbarer wird? Der Architekt Tim Rieniets vom Institut für Entwerfen und Städtebau an der Uni Hannover setzt sich besonders für die Umnutzung von Räumen ein.

Herr Rieniets, die Kultureinrichtungen suchen vermehrt nach Möglichkeiten, ihre Räume in die Stadt hinein zu öffnen: so etwas wie das Museum oder die Bücherei als erweiterter Stadtraum für uns alle. Welche Möglichkeiten sehen Sie für bestehende Häuser?

Tim Rieniets: Ich sehe durchaus viele Möglichkeiten, gerade wenn wir uns mit den Innenstadtzentren deutscher Städte beschäftigen, die nicht erst seit der Corona-Krise, sondern auch schon davor erlebt haben, dass der Einzelhandel sich in vielen Lagen, die lange Zeit als gute, beständige Lagen galten, allmählich zurückzieht und dort Gewerbeimmobilien zurücklässt. Dort sehe ich vielfältigste Möglichkeiten, dass unter anderem Kultur in die Stadtzentren zurückkehren oder einkehren kann.

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Was heißt das konkret für so ein bestehendes Gebäude, das leer steht? In Hannovers Innenstadt gibt es zum Beispiel ein großes ehemaliges Kaufhaus-Gebäude, das umgenutzt werden könnte, solange, bis es dann eines Tages aber doch abgerissen wird.

Rieniets: Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Das Gebäude zu öffnen, Menschen und Institutionen Raum zu geben und dort kulturelle Arbeit zu machen an einem Ort, den sie sich normalerweise überhaupt nicht leisten könnten, ist natürlich wunderbar. Auch Hochschulen werden in dieses Gebäude einziehen und es werden Ausstellung gezeigt. Es bleibt aber der bittere Beigeschmack, dass all diese Aktivitäten, von denen man sich fragen könnte, warum so etwas nicht dauerhaft sein kann, eventuell doch nur ein hübsches Feigenblatt ist, für diejenigen, die am Ende dann doch entscheiden, dass dieses Haus abgerissen werden soll.

Aber es gibt auch viele andere leerstehende Warenhäuser, und bei einigen ist es durch geschickte Umbaumaßnahmen und geschicktes Management von Nutzerinnen und Nutzern gelungen, sie dauerhaft in eine andere Nutzung zu bringen. Auch das ist also durchaus möglich. Man muss diese Häuser nicht abreißen.

Was ja auch nicht nur im Sinne des Zusammenlebens gut ist, sondern auch im Sinne der Nachhaltigkeit, oder?

Rieniets: Absolut. Wir stehen vor einer riesengroßen Herausforderung, nicht nur in Deutschland, sondern in allen entwickelten Ländern, weil wir feststellen müssen, dass wir diese Praxis, die wir die letzten 100, 150 Jahre durchgeführt haben, nämlich Gebäude nach wenigen Jahrzehnten wieder abzureißen, um an der gleichen Stelle neue Gebäude zu bauen, unterbinden müssen, wenn wir unsere Klima- und Umweltziele erreichen wollen. Deswegen wird sich in der Bauwirtschaft erheblich etwas ändern müssen, und der Gesetzgeber wird das flankieren müssen. Der Bausektor ist, zusammen mit dem Verkehrssektor, der einzige Sektor, der seine Klimaziele bisher nicht erreicht hat. Wir wissen mittlerweile, dass es nicht mehr genügt, unsere Häuser gut zu dämmen oder andere Heizungen einzubauen. Wir müssen wieder lernen, mit unserem Bestand pfleglich umzugehen und die Energie und die Ressourcen, die in diesem Bestand gebunden sind, langfristig zu nutzen. Das zählt für Warenhäuser genauso wie für Wohnhäuser oder alle anderen Immobilien.

Haben Sie da einen Appell oder einen Wunsch?

Rieniets: Da wir gerade über Kultur reden, würde ich folgenden Wunsch haben: dass wir zwar schon über Kultur sprechen, aber dabei nicht nur die institutionalisierte Kultur im Blick haben mit den Kunst- und Kulturschaffenden, die im schlimmsten Fall so ein bisschen das Feigenblatt sind und gleichzeitig unter prekären Verhältnissen leben und arbeiten, sondern dass wir uns eher einen erweiterten Kulturbegriff aneignen. Dass wir uns eine neue Stadtkultur aneignen müssen, in der es auch um Kunst und Kultur geht, aber in der es auch um ganz alltägliche Dinge geht, um die Ausübung von Berufen im öffentlichen Raum, um die Freizeitgestaltung oder eine Mobilität, die auf Fußgänger und Fahrradfahrer setzt und auch eine Kultur der Weiternutzung und Umnutzung von alten Gebäuden. Das wäre für mich eine Kultur der intensiven Nutzung von städtischen Räumen. Wenn wir uns auf diesen Kulturbegriff einigen könnten, dann würde uns die Lösung einiger Probleme, die wir im Moment haben, vielleicht etwas einfacher fallen.

Das Interview führte Julia Westlake.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 19.04.2023 | 16:50 Uhr

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