Umwidmung oder Abriss? Die Kirchen müssen Gebäude aufgeben
In den kommenden Jahren werden die Kirchen rund 40.000 Immobilien aufgeben müssen. Was passiert mit den Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäusern?
Vor unserem Interview mit Anke Cassens-Neumann ist die Stimmung angespannt. Gemeindemitglieder wollen dabei bleiben, hören, was die Pastorin zu sagen hat - über das Thema, das hier alle so aufwühlt. Ihre Gemeinde im Norden von Hamburg wurde schon mit einer anderen zusammengelegt. Eine erste Sparmaßnahme, die aber wohl nicht reichte. Der Kirchengemeinderat, zu dem auch die Pastorin gehört, hat beschlossen: Die Friedenskirche in Hamburg-Berne wird abgerissen.
Abrisspläne für Kirche in Hamburg-Berne: "Das ist furchtbar"
"Das ist furchtbar", sagt Cassens-Neumann. "Ich bin seit 25 Jahren Pastorin auch in dieser Gemeinde, auch im Vorsitz, und das mit großer Freude und Leidenschaft. Jetzt so eine Entscheidung treffen zu müssen, ist etwas, was wir uns nie haben vorstellen können und auch nie gewollt haben."
Das Interview mit der Pastorin wird ohne Publikum aufgezeichnet, doch später kommen auch Gemeindemitglieder zu Wort. "Die Kirche ist für mich Heimat, weil ich hier getauft und konfirmiert wurde", sagt Marianne Laaksonen. "Wir haben am Gemeindeleben teilgenommen und der Verlust der Kirche wäre für mich ganz schrecklich." Lars Pochnicht erzählt: "Die Gemeinde hat noch rund 6.000 Mitglieder. Wir haben 1.500 Unterschriften gesammelt. Das ist ja durchaus eine Größe, wo man sagen kann: Da wird etwas nachgefragt und da kann man auch ein Angebot vorhalten." Laaksonen gibt sich kämpferisch: "Wir kämpfen für den Erhalt oder zumindest für ein Moratorium, in dem noch weiter nach Möglichkeiten gesucht wird."
Schrumpfende Gemeinden, steigende Kosten
Eine Kirche ist beides: ein sehr persönlicher und ein hoch symbolischer Ort. Eine Kirche ist aber auch ein Gebäude, das kostet. Die Gemeinde, sagt die Pastorin, ist lebendig. Noch. Aber sie schrumpft langsam. Und damit auch das Budget. "Die Energiekosten steigen, die Baukosten steigen", erzählt Cassens-Neumann. "Das bedeutet: Auch die Unterhaltungskosten für dieses Gebäude steigen und wir können es nicht mehr finanzieren. Unser Haushalt ist ab nächstem Jahr defizitär. Insofern sind wir in einer Notlage, in der wir entscheiden müssen." Nach dem Abriss sind Wohnungen geplant. Von der Vermietung soll die Gemeindearbeit finanziert werden.
Dass Kirchen abgerissen werden, ist noch relativ selten, aber es passiert. So wie hier in Nordrhein-Westfalen. Die Kirchen verlieren Mitglieder. In den vergangenen 32 Jahren schrumpfte die katholische Kirche von rund 28 Millionen auf 21,6 Millionen Mitglieder, die evangelische von 29,4 Millionen auf 19,1. Übrig bleiben Kirchen mit zu kleinen Gemeinden. Sie werden zu Objekten auf dem Immobilien-Markt - wie die St. Stephanus-Kirche in Hamburg-Eimsbüttel. Sie wurde 2005 entwidmet. Tim Mälzer wollte hier eigentlich ein Restaurant eröffnen; heute sitzt eine Werbeagentur in dem Gebäude.
Immobilienexperte: "Prozess nimmt zunehmend Fahrt auf"
Adalbert Schmidt ist Immobilienexperte der Evangelischen Landeskirche Hannover. Zusammen mit einem katholischen Kollegen hat er einen Aufsatz darüber geschrieben, dass die Kirchen sich von vielen Gebäuden trennen müssen. Schmidt spricht von einem "Prozess, den es innerkirchlich schon etwas länger gibt und der auch zunehmend Fahrt aufnimmt, aber in der Öffentlichkeit noch nicht so präsent ist."
Es geht vor allem um Pfarr-und Gemeindehäuser. Aber wenn eine Kirche betroffen ist, wird es besonders heikel. "Wenn Gebäude umgenutzt, vielleicht abgegeben oder als Ultima Ratio abgerissen werden sollen, haben Sie automatisch mit dem Denkmalschutz zu tun", erklärt Schmidt. "80 Prozent der Kirchengebäude sind in der Denkmalliste verzeichnet."
Früher Kirche, jetzt Wohnheim im hippen Stadtteil
Mit den dort gelisteten Objekten kann ein neuer Besitzer nicht einfach machen, was er will. Ein Beispiel aus Hannover-Linden: Die ehemalige Gerhard-Uhlhorn-Kirche steht unter Denkmalschutz und hat eine miserable Wärmedämmung. Der Investor Dirk Felsmann wollte sie trotzdem haben - der Stadtteil ist ziemlich hip. 534.00 Euro hat Felsmann für die Kirche gezahlt. "Das ist nicht viel für eine so tolle Lage, allerdings auch verbunden mit dem Zwang, das Denkmal zu erhalten", so der Investor. "Und dann ist sie eigentlich gar nichts wert. Sie wird erst dann wieder etwas wert, wenn man eine kluge Idee entwickelt."
Ein Architektenpaar hat die Kirche wurde schließlich zu einem Wohnheim für Studierende und Auszubildende umgebaut. Dabei hatte die Gemeinde ein Mitspracherecht, der Denkmalschutz auch. Die Architektin Maria Pfitzner sagt über den Umbau: "Die Herausforderung besteht darin, in einen wirklich großartigen Raum, der leer ist, etwas reinzustellen, was trotzdem den Raum noch fühlbar sein lässt. Und das darf eben nicht zu viel sein."
Das Kreuz mit dem Kreuz
Aber auch nicht zu wenig, schließlich wollte und will der Investor Wohnungen vermieten. Und dann war da noch das Kreuz. "Das Kreuz ist tatsächlich ein typischer Konfliktpunkt", so Investor Felsmann. "Der Beauftragte für liturgisch verwendete Gegenstände hat zur Bedingung gemacht, dass das Kreuz nicht mehr kirchlich wirkt. Der Denkmalschützer hat gesagt: Es muss erhalten bleiben." Der Kompromiss: Der Christus, auf den früher die Gemeinde geblickt hat, wurde verhüllt.
Die Mieten in dem privaten Wohnheim orientieren sich am Studentenwerk Hannover. Eine typische Wohnung hier kostet rund 600 Euro im Monat, inklusive Möblierung, Kühlschrank, Bad, plus Gemeinschaftsflächen. A propos Gemeinschaft: "Am Ende hängen hier Menschenschicksale der ganzen Gemeinde dran", erzählt Felsmann. "Und man wundert sich, wie sentimental die Leute werden. Auf der Baustelle kamen Menschen vorbei und sagten: Hier haben wir geheiratet! Dürfen wir uns nochmal an den Altar stellen, Hand in Hand?" Das geht heute nicht mehr. Aber der großartige Bau ist erhalten geblieben.