Ukraine-Krieg: Olena Balun hilft, Kulturgüter zu sichern
Seit dem Frühjahr 2022 hilft das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine dabei, Kulturgüter zu retten und sie an sicheren Orten zu verwahren. Die ukrainische Kunsthistorikerin Olena Balun ist Koordinatorin des Netzwerks.
Frau Balun, welche Erfolge hat Ihre Arbeit bisher gebracht?
Olena Balun: Wir konnten mit den Hilfsgütern mehr als 550 Institutionen beliefern. Das waren Museen, Theater, Archive, Bibliotheken, Kirchen und Werkstätten. Das war ziemlich viel an Material: Klimageräte, Generatoren, Powerstations, Digitalisierungstechnik, Verladegeräte und ganz viel Verpackungsmaterial. Das wurde verteilt an die Institutionen in ganz Ukraine, zwischen Lwiw und Kiew bis an die Frontlinie. Wir konnten zehn kleinere Museen mithilfe der Hilfsgüter evakuieren lassen, die Sachen verpacken und sichern. Wir haben insgesamt drei Millionen Euro, die die Bundesregierung für diese Zwecke bereitgestellt hat, ausgeben können.
Was passiert dann mit den Ausstellungsstücken? Wo werden die hingebracht?
Balun: Das kann ich Ihnen leider nicht sagen; mit den Informationen geht man sehr vorsichtig um. Ich kann nur so viel sagen: Die Evakuierung findet, wenn, dann nur im Lande statt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die Güter außerhalb der Ukraine zur Evakuierung zu bringen, außer es geht um Ausstellungen.
Was macht das mit Ihnen und mit Ihren Helferinnen und Helfern vor Ort, Ausstellungsräume auseinander zu reißen und an mancher Stelle zu entscheiden: Das nehmen wir mit - das muss hier bleiben?
Balun: Das ist sehr schwierig. Ich habe mit mehreren Kolleginnen und Kollegen letzte Woche darüber gesprochen, und das verzweifelt auch schon manche. Die Sammlungen zählen meistens zwischen 15.000 und 150.000 Exponate, je nachdem, ob das eine Gemäldesammlung oder eine naturwissenschaftliche Sammlung ist. Evakuiert werden zuerst die Prioritätsgruppen, und die sind nicht groß: Das sind ungefähr 1.000 Objekte. Eine Gemäldegalerie hat ungefähr 25.000 Objekte. Man kann sich denken, was das mit einem macht.
Dann kommt auch noch der große Frust bei den archäologischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen: Die kann man nur sehr schwer aus der Exposition herausnehmen. Gerade bei den naturwissenschaftlichen Sammlungen sind das Präparate, die man nur schwer aus den Vitrinen abmontieren kann. Ein Kollege hat gesagt: Im Grunde kann man es nicht abmontieren - man kann es nur kaputtmachen. Das heißt, manches bleibt dann in den Museen stehen. Es ist immer eine sehr schwere Entscheidung, was, in welcher Reihenfolge und wohin damit, weil dazu nicht alle Räume klimatisch optimal geeignet sind.
Sie sprechen die klimatischen Bedingungen an: Klar, die Kunstwerke sind zum einen durch Raub und unmittelbare Zerstörung in Gefahr. Aber welche Auswirkungen hat es auf die Stücke, wenn zum Beispiel Strom und Heizung ausfallen?
Balun: Ganz dramatische. Es ist schon schlimm genug, wenn es kalt und feucht ist - Schimmelbefall ist da vorprogrammiert. Die Sachen sind nicht immer optimal verpackt: Wenn das eine Zellophan- oder Luftpolsterfolie ist, muss man immer wieder nachschauen. Besser ist es, wenn man spezielles Papier oder Restaurierpapier dafür nutzt. Es ist auch ganz schlecht, wenn die Temperatur schwankt, wenn es zuerst kalt und nass ist und dann doch geheizt wird. Dann muss man gleich Befeuchter und Entfeuchter parat haben, damit man Feuchtigkeit und Temperatur immer auf gleicher Ebene hat. Bisher hatten wir häufig kalte, nicht klimatisierte oder halbwegs klimatisierte Räume und im Frühjahr könnte Parasitenbefall dazu kommen. Es sind also sehr, sehr viele Probleme, die man gleichzeitig angreifen und lösen muss.
Begegnen Ihnen manchmal Stimmen, die sagen: Ihr rettet hier die Bilder, aber es gibt doch ganz viele Menschen, die auch Hilfe brauchen?
Balun: Das ist die Frage, die mir in den Interviews sehr oft gestellt wird. Sie möchten auch nicht vor die Entscheidung gestellt werden, ob Sie zuerst Ihre Familie oder Ihr Museum retten würden. Ich glaube, keiner möchte das. Ich habe von vielen Kolleginnen und Kollegen herzzerreißende persönliche Geschichten gehört, wo sie ihre Familie erstmal in Sicherheit gebracht haben und dann an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt sind, um bei den Objekten zu sein, die ihr Leben auch zum großen Teil ausgemacht haben. Die Kultur ist das, was uns als denkende Wesen auszeichnet, und in dem Krieg spielt sie eine ganz besondere Rolle. Es geht um die Identität der Ukraine, und die Kultur ist der Träger dieser Identität. Russland hat das nochmal zum erklärten Ziel kommuniziert, dass sie auch gegen die ukrainische Identität kämpfen. Natürlich ist es eine strategische Sache, ob man die Kultur schätzt und schützt.
Sie haben ganz viel in den vergangenen Wochen und Monaten geschützt - Sie haben vieles an Arbeit noch vor sich. Wenn Sie unterm Strich in sich hineinhorchen, wie fühlen Sie sich: kämpferisch oder zunehmend erschöpft und müde?
Balun: Nach zwölf Monaten darf man müde sein - so geht es vielen. Gleichzeitig bin ich natürlich auch kämpferisch, weil das doch genau das ist, was Russland will: dass einer erschöpft ist und aufgibt - das ist ja auch ein Nervenkrieg. Aber das kann man, das darf man sich nicht leisten. Deswegen machen wir weiter und hoffen auf weitere Unterstützung und Hilfe vonseiten des Staates, vonseiten der Stiftungen und darauf, dass man genug Mittel und Menschen hat, die das mitmachen.
Das Interview führte Jan Wiedemann.