Summertime-Sadness: Gibt es die Sommerdepression wirklich?
Die Winterdepression ist bekannt: Betroffene leiden an trauriger Verstimmung, Antriebslosigkeit, ziehen sich zurück. Lichtmangel gilt als eine Hauptursache dafür. Dass es auch eine Sommerdepression geben könnte, klingt vor diesem Hintergrund zunächst seltsam.
Die SAD, die seasonal affectiv disorder, oder auf Deutsch: saisonal-abhängige Depression, tritt nicht nur in den Herbst- und Wintermonaten auf. Auch in den Sommermonaten werden depressive Verstimmungen beobachtet, die typischerweise mit der Jahreszeit zusammenhängen. Betroffene fühlen sich oft nicht ernst genommen, da der Sommer allgemein geradezu als Glücksjahreszeit gilt, mit Sonnenschein, Ferien, und Aktivitäten im Freien verbunden wird.
Sommerdepression: Seltene, kaum erforschte Erkrankung
Es sei ein sehr interessantes Thema, aber leider kaum erforscht, sagt Prof. Thomas Cajochen, Leiter der Abteilung Chronobiologie an der Universität Basel. Er verweist auf eine schon ältere Studie des National Institute of Mental Health im US-Bundesstaat Maryland: Die Untersuchung aus dem Jahr 1991 unter der Leitung von Thomas Wehr hat gezeigt, dass Patienten, die von einer sommerlichen Depression betroffen waren, andere Symptome hatten als typischerweise bei einer Winterdepression: Während diese Patienten an Gewicht zunahmen und sehr viel schliefen, zeigte sich an den Probanden der Studie zur Sommerdepression das Gegenteil: nämlich Appetitlosigkeit und Schlafmangel.
Die Erkrankung ist selten. Menschen, die an sogenannten bipolaren Störungen leiden, also die zum Beispiel neben depressiven auch manische Episoden durchlaufen, sind häufiger betroffen als Menschen, die an einer sogenannten unipolaren Depression leiden.
Mögliche Ursache: Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
Forschende an der Med Uni Graz vermuten, dass verschobene biologische Rhythmen, wie der Schlaf-Wach-Rhythmus, Mit-Auslöser der Sommerdepression sein könnten. Licht ist der wichtigste Zeitgeber für den Schlaf-Wach-Rhythmus. Störungen dieses Rhythmus können zu psychischen Beschwerden führen. Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus hat dagegen positive Effekte. An der Universitätsklinik für psychiatrische und psychotherapeutische Medizin unter Leitung von Professorin Eva Reininghaus wird der Zusammenhang von zirkadianen Rhythmen und psychischen Erkrankungen erforscht. Erste epigenetische Analysen weisen darauf hin, dass eine Störung der inneren Uhr möglicherweise mitverantwortlich für Stimmungsschwankungen sein könnte.
Mitursächlich könnte womöglich eine verminderte Produktion des Hormons Melatonin sein: Es wird vermehrt bei Dunkelheit ausgeschüttet und ist wichtig für den Schlaf. Durch mehr Licht und längere Tage im Sommer könnte die Melatoninproduktion aus dem Gleichgewicht geraten. Die Folge: beispielsweise innere Unruhe.
Häufig erkranken junge Frauen
Eine weitere Studie in Graz widmet sich speziell dem Einfluss des Sonnenlichts auf die bipolare Erkrankung. Erste Ergebnisse zeigten, dass Menschen mit bipolaren Erkrankungen in Äquatornähe, wo es wenig Veränderungen des Sonnenstands gibt, weniger Suizidversuche unternehmen.
Die Forschenden in Graz gehen davon aus, dass die Sommerdepression vier bis sechs Prozent der Bevölkerung betrifft, am häufigsten erkrankten junge Frauen zwischen 20 und 40 daran. Behandelt wird diese, wie andere Formen der depressiven Verstimmung, mit Gesprächstherapie und Medikamenten.
Auch Sommer-bedingter Stress als Faktor denkbar
Was auffällt: In den USA ist die Sommerdepression viel mehr ein öffentliches Thema: Psychologen sprechen im Fernsehen darüber, Zeitungen beschäftigen sich damit und auch Kliniken und Forschungseinrichtungen haben die Sommerdepression auf der Agenda.
Psychologen der Cleveland Clinic in den USA verweisen auf möglichen Stress durch hohe Temperaturen: Auch diese können müde und erschöpft machen und die Stimmung negativ beeinflussen. Auch könnten viele Menschen die allgemeine Erwartung, sich im Sommer besonders glücklich fühlen zu müssen, als überfordernde Drucksituation erleben. Ebenso könne das veränderte Freizeitverhalten im Sommer durch zu viele Aktivitäten zu psychischem Stress führen.