Eine Hand mit zwei kleinen Tabletten. © NDR/Kulturjournal

Aktive, passive und indirekte Sterbehilfe - was heißt das?

Stand: 08.11.2023 11:16 Uhr

Sterbehilfe ist in Deutschland ein umstrittenes Thema. Juristen unterscheiden zwischen assistiertem Suizid sowie aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe. Doch was bedeutet das und was ist erlaubt und was strafbar?

Seit dem Februar 2020 befindet sich der assistierte Suizid in einer Grauzone. Damals erklärte das Bundesverfassungsgerichts das Verbot, die Selbsttötung "geschäftsmäßig zu fördern" für verfassungswidrig und hob ein entsprechendes Strafgesetz auf. Der Gesetzgeber muss die Sterbehilfe neu regeln. Zwei Initiativen für eine Neuregelung scheiterten 2023 jedoch im Bundestag.

Assistierter Suizid: Nach dem Urteil in einer Grauzone

Beihilfe zum Suizid heißt, dass bei der Selbsttötung geholfen wird. Zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt wird. Ein entscheidendes Kennzeichen in Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe ist, dass der Patient das Medikament selbst einnimmt. Das Gericht forderte in Zusammenhang mit der Aufhebung des Verbots die Politik auf, dass die Sterbehilfe gesetzlich neu geregelt werden muss. Passiert ist aber bislang nichts. Daher finden assistierte Suizide derzeit immer noch in einer rechtlichen Grauzone statt.

Weitere Informationen
Eine bedrückte Frau telefoniert. © picture-alliance/ZB Foto: Marion Gröning

Suizidgedanken? Es gibt Auswege!

Auch in scheinbar ausweglosen Situationen gibt es Menschen, die Ihnen helfen können. Hier gibt es Links und Telefonnummern. mehr

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten

Im Gegensatz zum assistierten Suizid verabreicht bei der aktiven Sterbehilfe jemand anderes dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. Diese Art der Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Nur in den Niederlanden, in Luxemburg, in Spanien und Belgien ist dies legal.

Passive und indirekte Sterbehilfe sind in Deutschland erlaubt

Als passive Sterbehilfe wird der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bezeichnet. Dazu zählt zum Beispiel der Verzicht auf Ernährung, Bluttransfusion oder Beatmung.

Bei der indirekten Sterbehilfe geht es vor allem um Schmerzlinderung. Wenn der Patient in dem Zusammenhang Medikamente bekommt, die zur Folge haben, dass er früher verstirbt, ist das in Deutschland erlaubt und wird indirekte Sterbehilfe genannt.

Staat muss erst einmal kein Medikament zur Verfügung stellen

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen wies im Februar 2022 die Klagen von drei Personen ab, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn verpflichten wollte, ihnen ein tödliches Medikament zur Verfügung zu stellen. Der Staat muss schwerstkranken Menschen dem Urteil zufolge nicht den Zugang zu einem Suizid-Mittel verschaffen. Das Gericht verwies aber darauf, dass die Politik auch hier den gesetzlichen Rahmen neu regeln müsse. Bis dahin könnten schwerkranke Menschen Ärzte aufsuchen, die ihnen bei einem Suizid helfen.

Bundesgericht: Klage auf Herausgabe von Natrium-Pentobarbital abgewiesen

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 7. November 2023 eine Klage auf Herausgabe des Sterbehilfe-Präparats Natrium-Pentobarbital durch den Staat abgewiesen. Das Gericht sieht das Risiko, dass das Mittel in unbefugte Hände geraten könnte, als zu groß an. "Die Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels sind angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit besonders groß und wiegen schwer", heißt es in der Begründung. Die Richter begründeten die Entscheidung außerdem damit, dass es andere zumutbare Optionen gebe, dem eigenen Leben medizinisch begleitet ein Ende zu setzen. Diese seien mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 festgestellt hatte, vereinbar. Für Kläger Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt (Landkreis Lüneburg) ist die Entscheidung "furchtbar enttäuschend und sehr ärgerlich", wie er dem NDR in Niedersachsen unmittelbar nach der Bekanntgabe des Urteils sagte. "Wir werden wieder bevormundet. Das ist nicht nachvollziehbar."

Weitere Informationen
Eine Hand greift nach einem Fläschchen mit Pentobarbital-Natrium. © picture alliance / Winfried Rothermel Foto: Winfried Rothermel

Bundesgericht: Sterbehilfe-Mittel darf nicht ausgegeben werden

Geklagt hatten zwei Männer, einer aus dem Landkreis Lüneburg. Der Sterbehilfe-Verein Dignitas fordert mehr Rechtssicherheit. mehr

Bundesverfassungsgericht bestimmte 2020 ein Recht auf Selbstbestimmtes Sterben

Gemeinsam mit der "Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben" kämpfte Hans-Jürgen Brennecke jahrelang für ein neues Sterbehilfegesetz. Mit der Diagnose Burkitt-Lymphom, das zu den am schnellsten wachsenden Tumorarten des Menschen gehört, unterzog er sich mehrerer Chemotherapien, die er sehr schlecht vertrug. Er musste künstlich ernährt werden, es kommt zum Atemstillstand. Außerdem leidet er auch nach den Therapien unter dauerhaft geschädigten Nerven in Händen und Füßen. Er beschließt, dass, sollte der Krebs zurückkommen, er es nicht noch einmal durchmachen möchte. In diesem Fall will er freiwillig aus dem Leben scheiden - mit ärztlicher Hilfe. Doch damals war die Beihilfe zum Suizid in Deutschland noch strafbar. Deshalb reichte er Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Im Februar 2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass "das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen".

Weitere Informationen
Ein Pfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer bettlägerigen Bewohnerin. © dpa Foto: Oliver Berg

Sterbehilfe: Gesetzentwürfe scheitern im Bundestag

Zwei Vorschläge zu einer Reform der Sterbehilfe sind im Bundestag gescheitert. Damit bleibt die Suizidbeihilfe weiter ungeregelt. mehr

 

Weitere Informationen
Till Lindemann, Marco Goeckes Dackel und Goofy auf einem Bild © Picture alliance/ ©Buena Vista Pictures/Courtesy Everett Collection / Picture alliance/ Nikolaj Branshom

Rückblick Kulturjahr 2023: Dackeldreck, eine weiße Weste und ein Disney-Dussel

Ein Ballettdirektor rastet aus, eine KI sorgt für die Wiedervereinigung der Beatles und ein Butler weiß immer noch nicht, wo's langgeht - was für ein Kulturjahr! mehr

Hans-Jürgen Brennecke spricht in die Kamera. © Screenshot
3 Min

Bundesgericht verweigert Zugang zu Sterbehilfe-Medikament

Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt war einer der Kläger, die eine Herausgabe des Präparats Natrium-Pentobarbital gefordert hatten. 3 Min

Pflegerin mit Patientendokumentation im Arm hält mit der anderen Hand, die Hand eines alten Patienten mit einem Schlauch im Handrücken. © IMAGO/epd

Würdevolles Sterben: Was ist das Ziel einer Behandlung?

Ärztinnen und Ärzte sind mit schwierigen Entscheidungen über Leben und Tod häufig auf sich allein gestellt. mehr

Harald Mayer sitzt in seinem Rollstuhl. Dieser steht auf einem Steg an einem See mit Bergen im Hintergrund. © NDR
ARD Mediathek

Sterbehilfe: Harald Mayer kämpft um seinen Tod

Harald Mayer ist total bewegungsunfähig durch Multiple Sklerose. Er wünscht sich Sterbehilfe. Die hat er nie bekommen. Video

Ein Mann im Rollstuhl vor einem See und einem Bergpanorama © NDR/Torsten Lapp

Kampf um Sterbehilfe: Wer darf über ein Leben bestimmen?

Harald Mayer und viele andere möchten selbst über ihr Lebensende bestimmen. Der assistierte Suizid befindet sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 16.01.2023 | 22:00 Uhr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Bunte Urnen stehen im Regal © NDR.de Foto: Tabea Pander

Wandel der Bestattungskultur: Trauerarbeit darf bunt sein

Beerdigungen müssen nicht immer mit der Farbe Schwarz zusammengebracht werden. Patricia Hansen aus Jesteburg gestaltet Urnen und Särge mit viel Farbe. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?