Spaltungspotenzial bei Fridays for Future?
Mit israelkritischen und verschwörerischen Äußerungen sorgt Fridays for Future international zurzeit für Aufsehen. Obwohl sich die deutsche Sektion davon distanziert. Bröckelt der Geist der Klimaschutzbewegung?
Die globale Klimaschutzbewegung Fridays for Future irritiert mit einem antisemitischen Instagram-Post zum Nahost-Konflikt. Darin wirft sie westlichen Medien "Brainwashing" vor, also Gehirnwäsche zugunsten Israels. Desweiteren bezeichnet sie die israelische Regierung als "Apartheidsystem", das an den Palästinensern einen Genozid begehe. Westliche Medien würden behaupten, alle Palästinenser, Araber und Muslime seien Terroristen. Kritisches Denken solle minimiert werden. Die gute Nachricht sei: Wenn man deren Propaganda nicht mehr glaube, verlören sie ihre Macht. Man müsse jetzt Widerstand leisten, so Fridays for Future International.
Fridays for Future: der eigene Markenkern verwässert
Die deutsche Sektion um Luisa Neubauer äußert sich auf Anfrage des NDR nur knapp. In der schriftlichen Reaktion heißt es sinngemäß, dass die internationalen Social-Media-Accounts nicht für Fridays for Future Deutschland sprächen. Außerdem wurde auf die aktuellen Posts verwiesen, in denen sich Fridays for Future Deutschland deutlich distanzierte.
Erst vor einigen Tagen hatte die schwedische Klima-Aktivistin und Gesicht der globalen Bewegung Fridays for Future, Greta Thunberg in einem Post "Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser sowie alle betroffenen Zivilisten" gefordert - ohne die Massaker der Terrororganisation Hamas in Israel zu erwähnen. Konkret aus Israel gab es von Umweltschützern massive Kritik und einen offenen Brief. Jannis Grimm, Protestforscher von der Freien Universität Berlin, hat im Interview mit NDR Kultur über die möglichen Folgen dieser Äußerungen für Fridays for Future in Deutschland gesprochen.
Herr Grimm, wie schätzen Sie die israelkritischen Posts von Fridays for Future International ein?
Also ich denke, man muss da vorsichtig sein, dass man nicht zu viel auf die gesamte internationale Bewegung projiziert. Zum einen ist dieser internationale Account eben einer, der auf Englisch ist, das heißt, er wird internationaler wahrgenommen. Es ist aber jetzt nicht so, dass das sozusagen der Mutter-Account ist und dann hat man die Tochter-Chapter in Deutschland. Man hat da eher verschiedene als gleichrangig nebeneinanderstehende Chapter in verschiedenen Ländern. Und die sind auch nicht so hierarchisiert und zentralisiert, dass jetzt die Leitlinie vorgegeben wird. Fridays for Future Großbritannien oder Fridays for Future Frankreich usw. sind eben sehr multiple Bewegungen, die große Koalitionen bilden aus ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft, wo eine Vielfalt an Stimmen herrscht. Daher rührt auch meine Überraschung, dass eben ein Account zu einem Thema, das gar nicht mit dem Kernthema der Bewegung zu tun hat, nämlich der Klimagerechtigkeit, da so ein starkes Statement herausgibt, was ganz naturgemäß Teile der Bewegung antagonisieren wird und außen vor lässt. Denn da gibt es natürlich eine Multiplizität an Stimmen; nicht jede Person bei Fridays for Future wird hinter diesem Statement stehen, weder in Deutschland noch im internationalen Chapter.
Ja, Sie sagen es, der deutsche Teil hat sich auch offiziell distanziert: "Nein, der internationale Account spricht nicht für uns. Nein, wir stimmen nicht mit den Inhalten überein", heißt es da eher schmallippig. Was kann man daraus lesen, wie wird das hier in Deutschland angekommen sein?
Also ich nehme an, dass die deutsche Fridays for Future davon nicht amused war, um es milde auszudrücken. Ich empfinde das gar nicht als sonderlich schmallippig. Ich würde sagen, es ist einfach eine sehr klare Distanzierung davon. Die Distanzierung erfolgte ja auch in der Vergangenheit. Fridays for Future hat ja auch ein starkes Solidarität-Statement herausgegeben, hat den Terror der Hamas ganz explizit verurteilt. Also ich finde, viel stärker kann man eigentlich gar nicht in Deutschland in die Welt hinaus schreien: "Hier, wir sprechen nicht mit dieser Stimme. Das sind nicht Worte, die wir wählen würden." Und das, finde ich, verdient auch Respekt, dass man sich frei macht und sich nicht jede Diktion zu eigen macht, die irgendein Chapter in der Welt wählt, nur weil man den gleichen Namen trägt und weil man beim Thema Klima an einem Strang zieht.
Man trägt aber nun mal den gleichen Namen. Deswegen die Frage: Wie gefährlich könnte das unter Umständen auch für die Bewegung hier in Deutschland werden, wenn sich vielleicht auch Menschen abwenden?
Das ist auf jeden Fall ein Risiko. Das darf man nicht unterschätzen. Das gilt sowohl für die Statements des internationalen Accounts als auch für die Handlungen von einzelnen Celebrities innerhalb der Bewegung. Man profitiert einerseits immer davon, dass man eine globale Bewegung ist, dass man sehr divers und in verschiedenen Ländern aufgestellt ist. Mit diesem Multiplikatoreffekt geht aber automatisch einher, dass alles, was bei Teilen der Bewegung passiert, auf einen potenziell auch zurückfallen kann oder zumindest von anderen Leuten auf einen übertragen wird - ob man dahinter steht oder nicht. Und da kann jetzt noch so viel Distanzierung, auch ehrliche Distanzierung von diesen Worten erfolgen: Der Branding-Effekt bleibt trotzdem bestehen. Und das hat massives Spaltungspotenzial.
Sie haben den Begriff "Celebrities" gerade schon erwähnt. Wahrscheinlich sprechen Sie da Greta Thunberg an, die sich zuletzt mit einem "Free-Palestine"-Plakat gezeigt und dafür viel Kritik erhalten hat, unter anderem einen offenen Brief von Umweltschützern aus Israel. Inwiefern könnte all das den weltweiten Geist dieser Klimaschutzbewegung bröckeln lassen?
Zum einen ist es natürlich so, dass Greta Thunberg als Privatperson das Recht hat, sich zu jedem Thema eine Meinung zu bilden, so wie wir das alle tun, gerade zu diesem Konflikt, zu dem wirklich jede Person eine Meinung hat. Das Grundlegende, taktisch Problematische für soziale Bewegung an diesen Äußerungen ist, dass man riskiert, seinen eigenen Markenkern dadurch zu verwässern und dass man unnötigerweise Spaltungspotenziale aufmacht über Themen, die eigentlich nicht im Kern des eigenen Interesses liegen.
Das heißt, es ist so ein Stück weit auch eine Entwicklung, die immer mal wieder bei so großen Bewegungen vorkommt, dass man eigentlich dieses eine große Ziel hat, aber sich dann in womöglich völlig unabhängigen Fragen verhakt und das schließlich der großen Sache an sich schadet?
Das kann der Sache schaden, das muss es aber nicht. Aber de facto, da haben Sie vollkommen Recht, ist es ein Phänomen, das alle Bewegungen ab einer gewissen Größe immer wieder begleitet. Ein gutes Beispiel dafür wäre aus dem deutschen Kontext speziell Lützerath. Das Klimacamp, das aus dem berechtigten Interesse heraus, Allianzen zu bilden zwischen migrantischen Gruppen, zwischen rassismuskritischen Gruppen, zwischen progressiven kapitalismuskritischen Gruppen und der Klimabewegung eben dazu geführt hat, dass man in Lützerath Demonstrationen, Slogans, Banner etc. hatte für "in Solidarität mit Rojava", "in Solidarität mit den demonstrierenden Frauen im Iran", antikapitalistische forderungen und so weiter. Das Pro von so einer Strategie ist, dass man dadurch schafft, breite Allianzen zu schmieden. Das Contra gegenüber solchen Strategien ist, dass einzelne Akteur*innen innerhalb so einer Bewegung riskieren, dass der breiten Bevölkerung oder der Audience nicht mehr ganz klar ist, wofür man eigentlich steht. Geht es jetzt hier gerade ums Klima? Oder geht es jetzt hier um Rassismus? Oder worum geht es? Und das ist ein ganz klassischer Clash zwischen Prinzipien und zwischen Pragmatik. Und vor allem progressive Aktivist*innen sind nun mal größtenteils stark Prinzipien-getrieben und stark von Normativität getriebene Menschen, die sich dementsprechend auch nicht immer taktisch klug verhalten, aber vielleicht auch die eigenen Werte oder Ziele nicht verraten wollen.
Das Interview führte Jan Wiedemann.