Santiano-Musiker Timsen: "Es geht ums Hier und Jetzt"
NDR Reporter Lornz Lorenzen hat Santiano-Musiker Hans-Timm "Timsen" Hinrichsen in dessen neuem Proberaum besucht und mit ihm über das Musikmachen und Glück sw1^-gesprochen.
Inspiration findet der Schlagzeuger, Sänger und Gitarrist Hans-Timm "Timsen" Hinrichsen hier jedes Mal, wenn er aus dem Fenster sieht. Vor sich sieht er den malerischen Binnensee Selker Noor, am Horizont zeichnet sich der Schleswiger Domab und das Unesco-Welterbe Haithabu ist auch nicht weit.
Was bedeutet dieser Ort für Dich?
Hier kann ich einfach drauflos spielen. Und drauflos denken: Wie könnte das mal klingen, oder was kann ich hier verbessern? Es kann auch sein, dass ich die Klampfe in die Hand nehme und einfach rumklötere. Oder ich singe noch dazu und es kommt dabei etwas heraus. Dann nehme ich das auf, höre es mir am nächsten Tag an und denke vielleicht: War wohl doch nicht so toll. Oder ich freue mich und denke: Ist ganz gut geworden. Es geht mir bei Musik vor allem darum, zu spielen - und nicht zu arbeiten.
Meinst Du das im Gegensatz zu einer Aufnahme im Studio, wo man durch Scheiben getrennt daran arbeitet, perfekt die einzelnen Tonspuren einzuspielen?
Ja, im Studio hört man sich die Sachen auch immer wieder an und muss sich gemeinsam absprechen - es wird halt zielbewusst auf das besten Ergebnis hingearbeitet. Und hier? Was interessiert mich das Ziel, ich spiele einfach drauf los! Und ich freue mich darüber, das in diesem Moment zu spielen oder aufzunehmen.
Der Ursprung von Musik ist doch das "Machen im Moment" - und das tut gut. Wenn du fetzige Musik machst, kannst Du auch mal ein paar Aggressionen ablassen. Wenn du dich mit 18 von deiner Freundin trennst, dann hörst du zuerst einmal ein paar Liebe-Herzschmerz-Nummern. Das ist ganz wichtig, dass man das nicht vergisst. Und sich auch nicht immer unter Druck setzt, dass am Ende etwas dabei herauskommen muss. Sondern es geht um das Hier und Jetzt.
Die alten Griechen sagen, dass die Zielvorstellung, das Telos, einen runterdrückt. Nimmt einem das Ziel den Spaß am Machen?
Das ist ja nicht nur in der Musik so. Wenn Du im Garten wühlst, um ein neues Blumenbeet anzulegen, dann hast Du wahrscheinlich eine Vorstellung davon, wie das aussehen soll. Aber wenn Du dabei bist, gräbst du erstmal eine Ecke ab, nimmst die Grasnarbe weg und fängst einfach an zu gestalten mit den paar Blumen, die du gekauft hast. Und die Erfüllung kommt doch dann genau in diesem Moment. Und so ist das mit der Musik auch.
Braucht es also eine gewisse Absichtslosigkeit im kreativen Prozess? Und macht einen das glücklich?
Der Augenblick, in dem du etwas machst, der soll dich gut drauf bringen. Aber damit meine ich nicht nur die Musik, sondern das ganze Leben. Hauptsache, du bist gut drauf. Wenn du zehn Millionen Euro im Lotto gewinnst, dann bist du erstmal gut drauf. Aber vielleicht bist du auch ohne zehn Millionen gut drauf, weil du gerade den Dachboden aufräumst.
Wenn Ihr auf der Bühne steht, als quasi zweitälteste Boygroup der Welt nach den Rolling Stones, sind diese besonderen Vibrationen im Raum. Wie ist es, dort zu stehen? Ist das eine Droge?
Ich kann das gar nicht genau sagen. Ich habe da so ein Gefühl von Respekt vor der Situation und Respekt vor allem vor dem Publikum. Ich finde auch, man hat sich gefälligst anzustrengen, wenn man auf die Bühne geht. Das darf natürlich nicht darin ausarten, dass du verkniffen bist und dann nichts mehr spielen und singen kannst. Das muss eine spaßige Selbstverständlichkeit bekommen. Und du musst wissen, dass die Leute, die da kommen, einen Haufen Geld für die Eintrittskarten ausgegeben haben.
Du bist Botschafter für den Verein Verwaister Eltern und trauernder Geschwister in Schleswig-Holstein. Ihr habt vor Kurzem eine CD herausgebracht, auf der Du singst. Wie kamst Du dazu, Dich dort zu engagieren?
Es lag nicht daran, dass ich in der Verwandtschaft oder Bekanntschaft einen Fall hatte, wo ein Kind gestorben ist. Die haben mich angeschrieben. Und im ersten Moment dachte ich: Kommst du mit dem Thema Tod klar? Diese Gedanken sind denn aber schnell verflogen, weil ich ja über 20 Jahre lang in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hier in Schleswig gearbeitet habe. Und da habe ich auch mit depressiven Jugendlichen gearbeitet. Und so eine Depression kann natürlich auch durch den Tod von jemandem in der Familie ausgelöst sein.
Der Prozess des Trauerns ist sehr individuell. Da könnte man doch sagen: Wozu brauche ich einen Verein?
Viele Menschen wissen vielleicht gar nicht: Wie kann ich trauern? Mit wem kann ich darüber reden? Das sollte nicht so ein tabuisiertes Thema sein, worüber niemand reden will. Der Verein gibt da Impulse.
Du bist Familienvater und siehst deine Kinder aufwachsen. Hast Du persönlich ein Gefühl für diese Endlichkeit?
Früher dachte ich: Man lebt und der Tod kommt irgendwann. Oma und Opa sind gestorben das war ganz schlimm. Dass man selber einmal dahin kommst, hatte ich nicht im Kopf. Jetzt mit Mitte 50 blicke ich zurück und sehe, dass ich den längsten Teil wahrscheinlich schon hinter mir habe. Das letzte meiner Kinder geht nun aus dem Haus - dabei kommt es mir so vor, als wäre ihre Zeit im Kindergarten erst gestern gewesen.
Am Jahresende kommt eure neue CD raus - die sechste nach fünf erfolgreichen Nummer-1-Alben. Kannst Du da ganz kurz verraten, worum es bei dem Album geht?
Erst einmal sagen wir immer: Wo Santiano draufsteht, ist auch Santiano drin. Das Album soll "Wenn die Kälte kommt" heißen.
Eine Arktis-Expedition?
Wir sind ziemlich viel unterwegs (lacht). Also wir sind da, wo es kalt ist.
Das Interview führte Lornz Lorenzen im "Schleswig-Holstein-Schnack". Das komplette Gespräch können Sie hier hören.