Robert Harris über Romanverfilmung "Konklave": "Ein hervorragendes Werk"
Die Romane von Robert Harris sind akribisch recherchiert. Im Interview mit NDR Kultur spricht der britische Journalist und Autor über die aktuelle Romanverfilmung "Konklave" und über sein neues Buch "Abgrund".
Herr Harris, Sie haben den Film schon gesehen - was hat Sie im positiven Sinne daran überrascht?
Robert Harris: Ich denke, es war das Spektakel der Sixtinischen Kapelle. All die Kardinäle, die da versammelt sind, ihre Roben, die Farbe und das Drama der Zeremonie. Ich kann versuchen, das in einem Buch zu beschreiben, aber natürlich kann man nicht mit den bewegten Bildern auf einer Leinwand konkurrieren. Ich denke, die Wirkung war überwältigend.
Ich habe das Buch gelesen und in dieser Szene, in der alle für die letzte Runde zusammenkommen - das ist schon sehr dicht, auch im Roman...
Harris: Ja, der Film folgt dem Buch sehr nahe. Das freut mich sehr, es ist ein hervorragendes Werk.
Das muss ein besonderer Prozess sein, wenn jemand das Buch auf zwei Stunden destilliert. Wie fühlt sich das an?
Harris: Ich habe mich über die Jahre dran gewöhnt. In diesem Fall ist es eine besonders gute Erfahrung. Oft ist es so, dass man sein Werk verkauft und der Drehbuchautor beschließt, dass er den Text viel besser machen kann. Dann frage ich mich, warum man Dialoge und Szenen streichen und Charaktere verändern muss. Wenn jemand das Buch gekauft hat, sollte man doch annehmen, dass er es gemocht hat. In diesem Fall ist das nicht passiert, und ich bin sehr gut mit dem Drehbuchautor klargekommen. Ich habe schon Produktionen gesehen, die mich dazu gebracht haben, mir die Augen zuzuhalten. Aber das hier ist wunderbar, ich habe den Film schon zweimal gesehen und werde ihn nächste Woche nochmal sehen.
Ich habe gehört, dass Sie durchaus ehrlich sind, wenn Ihnen ein Film nicht gefällt...
Harris: Ich habe meine Meinungen manchmal energisch zum Ausdruck gebracht, ja. Aber wenn man darum gebeten wird, seine Meinung zu äußern, sollte man das auch tun. Aber, um ehrlich zu sein: Es ist, als würde man sein Haus verkaufen. Man kann nicht nach zwei Jahren zurückkommen und sich beklagen, dass der neue Besitzer die Küche ausgebaut hat. Es gehört einfach jemand anders, und man muss da ganz schicksalsergeben sein. Wenn man keine Änderungen möchte, darf man es halt nicht verkaufen.
Es kann in diesen Zeiten passieren, dass ein Film politisch in eine völlig andere Richtung geht. Wie kontrolliert man das? Oder muss man einfach loslassen?
Harris: Ich denke, man lässt einfach los. Ich weiß nicht genau, wer für den Satz "Nimm das Geld und lauf" verantwortlich ist, aber das ist kein schlechter Ratschlag. Ich bin ein Romanautor, ich bin verantwortlich für das Buch. Und was auch immer passiert - das Buch bleibt. Wenn es in eine andere Dimension geht und das funktioniert gut - fantastisch! Wenn es in eine andere Dimension geht und nicht gut funktioniert, gibt es immer noch das Buch.
Die Konklave ist der am meisten abgeschottete Zirkel, den wir uns vorstellen können. Wie haben Sie einen Eindruck davon bekommen, der über die reine Fantasie hinausgeht?
Harris: Ich habe mit einem Kardinal darüber gesprochen, ich habe alles gelesen, was ich konnte. Es gab vor ein paar Jahren ein anonymes Tagebuch, das die Wahl von Kardinal Ratzinger beschrieben hat. Das war sehr nützlich, hat mir viele Ideen gebracht. Und dann muss man seine Vorstellungskraft gebrauchen. Der ganze Prozess mit den wiederholten Abstimmungen und mit den Verhandlungen untereinander, die Tatsache, dass sie ständig wieder bei Null anfangen müssen und eingeschlossen sind - das sind sehr wertvolle dramatische Elemente.
Diese eine Geschichte ist wohl wahr, wie sie im Buch vorkommt: Niemand möchte Papst werden, aber alle haben einen Namen vorbereitet für den Fall, dass sie es werden. Ist das eine wahre Geschichte?
Harris: Ja, das ist das, was mir gesagt wurde und was ich gelesen habe. Es ist eine dieser Wahlen, bei denen jeder sagen muss, dass er nicht gewinnen möchte. Aber ich denke, dass einige doch insgeheim den Wunsch in sich tragen zu gewinnen. Obwohl es eine lebenslängliche Aufgabe mit einer gewaltigen Verantwortung ist. Wenn man etwas dramatisiert, dann kann einem nichts besseres passieren, als dass alle nicht so genau sagen, was sie meinen. Das ist großartig für die Dialoge und macht es viel interessanter zu schreiben.
Sie haben sich sehr tief in diese Kardinäle hineinversetzt, ältere Herren in merkwürdigen Kostümen, die gleichzeitig auch etwas Göttliches in sich tragen. Wie beeinflusst das einen Charakter?
Harris: Das sind viel größere Charaktere, als man denken würde. Sie sind vielleicht alt, aber jeder ist in seinem eigenen Land eine starke Persönlichkeit, mit Millionen Anhängern und auch politischem Einfluss. Viele von ihnen sind sehr gelehrt und sprechen viele Sprachen. Es ist also die vielleicht beeindruckendste Wählerschaft in der ganzen Welt. Ich bin sehr beeindruckt von ihnen und von dem ganzen Prozess, der sehr gut ist. Ich denke, viele politische Parteien, weltliche Parteien, könnten ein oder zwei Dinge vom Vatikan lernen.
Es ist erstaunlich, dass diese riesige Kirche noch so gemeinsam agiert, wie sie es tut - wenn man die Unterschiede sieht, etwa zwischen Nord- und Südamerika und Europa.
Harris: Das sehe ich auch so. Es muss immer schwieriger sein, das Ganze zusammenzuhalten. Inbesondere in Anbetracht der Debatte um Sexualität und der sozialen Veränderungen. Ich glaube, einer der Gründe dafür, dass es zusammenbleibt, ist das Konklave. Weil es sie alle zusammenzwingt, für mehrere Wochen. Das Konklave ist zwar nur auf ein paar Tage angesetzt, aber sie treffen sich schon vorher in Rom. Und sie treffen sich von Angesicht zu Angesicht, sie lernen sich kennen und erreichen Kompromisse. Wenn es ein viel breiteres Stimmrecht gäbe, wenn Tausende oder gar Millionen abstimmen könnten, wer die Kirche führt, dann würde sich das schnell in Fraktionen aufsplittern. Diese Art es zu machen, war sehr effektiv darin, die Kirche zusammenzuhalten.
Was würden Sie den Menschen raten: erst den Film zu sehen und dann das Buch zu lesen, oder umgekehrt?
Harris: Ich denke, das Beste ist, beides zu machen. Ich würde empfehlen, das Buch zu lesen, bevor man den Film sieht. Aber es würde sich auch andersrum lohnen. Es ist ein unterhaltsamer Film, aber er hat auch eine ernste Seite. Es geht um eine große Sache. Das ganze Spektakel ist außergewöhnlich, und ich denke, Edward Berger ist ein brillanter Regisseur und Ralph Fiennes ein besonders brillanter Schauspieler. Es ist ein wichtiger Film, denke ich.
Lassen Sie uns über Ihr neues Buch "Abgrund" sprechen. Herbert Henry Asquith, Anfang des 20. Jahrhunderts Premier in Großbritannien, hatte eine Affäre. Man weiß es nicht genau, aber es soll Venetia Stanley, eine Freundin seiner Tochter gewesen sein. Er hatte einige solcher jungen Freundinnen - was hat ihn daran so gereizt?
Harris: Er hatte einen romantischen Zug, einen melancholischen Zug, er mochte die Gesellschaft von jungen Menschen und ganz besonders die Gesellschaft von jungen Frauen. Er war berüchtigt dafür. Seine Frau hat sie den "Harem" genannt und ein Auge zugedrückt. Er war berüchtigt für Dinge, die ihn heute, in Zeiten von #MeToo, in Schwierigkeiten bringen würden: eine Hand auf dem Knie, oder unerwünschte Avancen. Venetia gehört zu einer anderen Kategorie. Die Beziehung hat länger gedauert, sie war viel ernsthafter, es war womöglich die einzige Affäre, die tatsächlich leiblich war. Und seine Frau hat das überhaupt nicht gemocht, weil er von Venetia richtig besessen war. Er hat sie oft getroffen, schrieb ihr dreimal am Tag. Sie war ein sehr wichtiger Teil seines Lebens.
Er war ein großer Moderator, ein Schiedsrichter in der Führung, ein gewiefter Diplomat. Aber er wird dann so unvorsichtig, dass er Top-Secret-Informationen, unter anderem in seinen Briefen, verrät...
Harris: Da haben Sie Recht, das war schon außergewöhnlich. Er hat ihr geheime Informationen per Post geschickt, Originaldokumente, Einschätzungen vom Geheimdienst, er gab ihr Berichte von geheimen Treffen. Wenn sie zusammen im Auto gefahren sind, hat er ihr streng geheime Telegramme von Botschaftern gezeigt, dem Botschafter aus Berlin, St. Petersburg oder Wien. Nachdem sie die gelesen hatte, hat er sie zerrissen und aus dem Fenster des fahrenden Autos geworfen - und schließlich haben Privatmenschen die Schnipsel gefunden und an die örtliche Polizei übergeben. Asquith wäre beinahe auf frischer Tat ertappt worden. Er hat bestritten, dafür verantwortlich zu sein - aber es waren überhaupt nur fünf Männer, die diese Telegramme bekommen haben. Es gab in dieser Zeit eine Untersuchung über undichte Stellen. Und so kam ich auf die Idee, einen fiktiven Charakter zu schaffen, einen Polizisten, der darauf angesetzt wird, dieses Sicherheitsleck zu untersuchen.
Die Schattenseiten und die Lichtseiten von politischer Macht sind ihr großes Thema - wie hat sich Ihr Blick darauf geändert?
Harris: Ich bin besorgt. Die Sache, die während meiner Lebenszeit den Frieden zwischen den Großmächten garantiert hat, war die Bedrohung der gegenseitigen nuklearen Vernichtung. Heute, mit Drohnen, mit Cyberkrieg und Künstlicher Intelligenz, mit Stellvertreterkiegen, bekommt man das Gefühl, dass so etwas wie ein konventioneller Krieg jetzt in Europa machbar sei. Auf eine Weise, wie er vor 10 oder 20 Jahren nicht machbar gewesen wäre. Ich fürchte, so fühlt es sich für mich gerade an. Und Vladimir Putin fühlt sich eindeutig nicht durch den Schrecken eines nuklearen Kriegs gebunden, er ist darauf vorbereitet, es immer weiter und weiter zu treiben.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.