Katja Lembke © picture alliance/dpa Foto: Christophe Gateau
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Raubkunst: Wie ist der aktuelle Stand der Herkunftsforschung?

Stand: 17.01.2023 12:37 Uhr

Viele deutsche Museen untersuchen Stück für Stück ihre Bestände. Gerade in Niedersachsen wurde besonders umfangreich geforscht. Ein Gespräch mit der Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover, Katja Lembke.

Frau Lembke, wie ist der aktuelle Stand der Herkunftsforschung?

Katja Lembke: Der aktuelle Forschungsstand ist so, dass wir mit vielen Herkunftsländern in Kontakt getreten sind. Das heißt, die Provinienzforschung betrifft nicht nur die Objekte selber, die in den Häusern sind, sondern auch die Kommunikation mit den Ländern, insbesondere in Afrika, wo sie ursprünglich mal hergekommen sind. Das ist für uns auch ein ganz wichtiger Bestandteil, dass wir überlegen: Wie können wir in Zukunft miteinander umgehen? Gibt es Objekte, die man zurückführt, was wir im Fall von Tansania tatsächlich planen? Aber es gibt auch andere Wünsche, und das ist ein großer Gewinn für uns, dass wir jetzt quasi ein neues Kapitel aufschlagen.

Erst vor wenigen Wochen wurden 20 Kunstwerke, die zu den Benin-Bronzen zählen, in ihre Heimat Nigeria zurückgebracht. Wie wichtig war dieser Schritt?

Lembke: Man muss da ein bisschen differenzieren. Wir haben in unseren Sammlungen in erster Linie Objekte aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten. Im Fall von Benin ist es eine Sondersituation, denn Nigeria war nie deutsche Kolonie, sondern die Briten haben damals den Palast gestürmt und die Objekte mit nach Großbritannien genommen. Und in Großbritannien sind sie wiederum von deutschen Museen und Sammlern erworben worden. Hier haben wir also keine direkte koloniale Herrschaft, sondern wir haben indirekt von den Raubzügen der Briten profitiert.

Prinzipiell ist es ein wichtiges Zeichen gewesen, nicht nur, dass diese 20 Bronzen zurückgegangen sind, sondern es hat ja darüber hinaus auch noch eine Eigentumsübertragung gegeben. Viele der Branchen, die heute noch in deutschen Sammlungen sind, gehören bereits dem Staat Nigeria, sind aber als Dauerleihgabe an uns ausgeliehen. Das ist ein wichtiger Schritt, dass es neben der Restitution, die immer mit einem Schuldeingeständnis verbunden ist, auch andere Wege gibt, miteinander zu kommunizieren und zu handeln.

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Ist die Rückgabe von Kunst Ihrer Meinung nach in jedem Fall die richtige Lösung?

Lembke: "In jedem Fall" würde ja bedeuten, dass wir quasi alle außereuropäischen Kunstwerke zurückgeben - und darum geht es ja gar nicht. Es geht uns nicht darum, und es geht auch den Herkunftsländern nicht darum. Die wären mit so einer Regelung vollkommen überfordert. Wir wollen vor allen Dingen klären, ob es Gewaltkontexte gibt, die in Zusammenhang mit der Erwerbung stehen. Der Fall Benin ist so einer: Auch wenn nicht von Deutschen verübt, ist es trotzdem ein Gewaltkontext. Da wollen wir auf jeden Fall in irgendeiner Form mit den Herkunftsländern zu einem Ausgleich kommen.

Darüber hinaus gibt es aber auch eine ganze Reihe von Objekten, wo die Erwerbungsumstände entweder nicht ganz geklärt sind oder aber, wo vielleicht sogar ein Gewaltkontext ausgeschlossen werden kann. Wenn Sie etwa ein Objekt als Geschenk bekommen, dann wäre es ein Affront, dieses Geschenk zurückzugeben. Wir müssen also in jedem einzelnen Fall schauen, wie die Erwerbungskontexte sind, und es ist auch ganz wichtig, mit den Personen in den Herkunftsländern zu sprechen und deren Meinung, deren Befindlichkeiten zu erkennen. Wenn ein Objekt für sie eine besondere Bedeutung hat, das bei uns teilweise nur im Magazin liegt, dann muss man überlegen, warum wir es nicht zurückgeben. Da gibt es die Möglichkeit, es entweder als Restitution zurückzugeben, also mit Schuldeingeständnis, oder man kann ein Objekt auch zurückführen, also als Dauerleihgabe in ein Land zurückgeben.

Das alles - diese Untersuchung, diese Erforschung der Hintergründe - kostet natürlich viel Zeit und Geld. Haben Sie genug davon? Was fordern Sie?

Lembke: Prinzipiell ist das natürlich eine unendliche Geschichte. Sie können sich vorstellen, dass wir in unserem Magazin Tausende von Objekten haben. Nicht nur die ethnografischen Objekte selber müssen beforscht werden, sondern auch die Persönlichkeiten, die diese Objekte gesammelt haben. Es ist eine politische Entscheidung, wie viel Geld man hier zur Verfügung stellt. Ich würde hier keine Forderungen stellen, aber jeden Politiker und jede Politikerin auffordern, sich darüber Gedanken zu machen, wie wertgeschätzt diese Forschung ist. Davon wird es abhängen, ob Gelder zur Verfügung gestellt werden. Ich muss im Sinne dieser Politikerinnen und Politiker auch betonen, dass wir in den letzten Jahren durchaus einen Zuwachs verzeichnen konnten. Vor zehn Jahren hat man diese Forschung, insbesondere in den kolonialen Kontexten, noch nicht für so wichtig erachtet, und es gab damals kein Geld. Inzwischen sieht es anders aus. Die Diskussionen um das Humboldt Forum haben dazu einiges beigetragen.

Sie sind gelernte Archäologin - wie hat sich Ihre Einstellung zur Arbeit im Laufe der Jahre verändert?

Lembke: Zum einen ist die Arbeit vor Ort für uns immer noch wichtig. Aber wir arbeiten, wenn wir in diesen Ländern sind, viel enger mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort zusammen. Es ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Es ist nicht mehr der Blick des westlichen Archäologen, der in die Länder geht und sagt, wo es langgeht, sondern wir arbeiten tatsächlich sehr eng und kooperativ.

Zum anderen finde ich, dass sich die Diskussion um die Provenienzen sehr erweitert hat, ebenso wie unsere Kenntnisse und unser Blick auf die archäologischen Güter. Vor 20, 30 Jahren hat man sich vor allen Dingen dafür interessiert, aus welchem Kontext ein Objekt stammt. Es war der antike Kontext, der im Vordergrund stand. Nun interessieren wir uns auch für die Geschichte, die etwa im 19. oder frühen 20. Jahrhundert begann, nämlich die Geschichte der Auffindung und der Aneignung. Damit gibt es quasi noch mal ein ganz neues narratives Muster und das ist ausgesprochen spannend. Wir haben eine große Bereicherung durch diese neuen Diskussionen.

Das Interview führte Julia Westlake.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 17.01.2023 | 17:30 Uhr

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