Peter Wohlleben: "Umweltschutz funktioniert nur über Empathie"
Was bedeutet uns der Wald? Was bedeuten wir dem Wald? Darum geht es in dem neuen Buch "Unser wildes Erbe" des Försters und Buchautors Peter Wohlleben. Im Interview erklärt er, was wir von den Bäumen lernen können.
Herr Wohlleben, was sehen Sie, was spüren Sie, wenn Sie in den Wald gehen?
Peter Wohlleben: Ich spüre Entspannung, bei mir fällt das Alltagsleben ab, weil einfach so viel zu sehen, zu riechen, zu fühlen ist. Der Wind rauscht durch die Bäume, man hört Vögel, ich versuche immer irgendetwas zu entdecken - und das gibt es ja meistens auch. Neulich zum Beispiel, über den Bäumen: 15 Milane, die sich fertig gemacht haben für die Reise nach Süden. Also spannend und entspannend.
Man liest oder hört immer wieder vom "gestressten Wald". Wie passt das zusammen, dass der Wald selbst gestresst ist, aber uns so entspannt?
Wohlleben: Das ist eine gute Frage, wobei man das eigentlich ganz gut sieht: Gestresst sind in der Regel die Plantagen, die sterben jetzt auch leider ab, so ein bisschen befeuert durch den Klimawandel. Aber diese alten Laubwälder, die hier noch gut im Sattel sitzen, sind erstaunlich gut durch die Sommer gekommen. In Norddeutschland sowieso, da hat es mehr geregnet als in anderen Teilen. Die Bäume können hinten raus, im Herbst, gerade die heimischen Buchen, noch viel aufholen - und das haben sie anscheinend auch gemacht, weil das Laub ein bisschen länger dran geblieben ist. Aber jetzt wird es endgültig heruntergeblasen, jetzt geht es endgültig in den Winterschlaf.
Manche sagen, man kann den Wald nicht so vermenschlichen, wie Sie das manchmal tun, dass sie Partnerschaften bilden oder hilfsbereit sind. Wie sollten wir unser Verhältnis zum Wald emotional überdenken oder neu ordnen?
Wohlleben: Meiner Meinung nach funktioniert Umweltschutz überhaupt nur über Empathie. Wir haben das sehr schön gesehen beim Schutz der Wale und Robben, da hat es nämlich sehr gut geklappt. Und beim Wald sollten wir das auch so machen. Daran wird übrigens geforscht, zum Beispiel im Helmholtz-Zentrum für Nachhaltigkeit. Aber die Forstwirtschaft findet das natürlich ein bisschen blöd. Wenn man herausfindet, was viele Studien belegt haben, dass Bäume interagieren, dass die sich untereinander austauschen, kommunizieren, gegenseitig vor Schädlingsbefall warnen, sogar mit Tieren kommunizieren, dann ist das natürlich nicht so gut fürs Geschäft. Da kann ich verstehen dass es da ein bisschen Ärger, ein bisschen Widerstand gibt. Aber das sind Dinge, die man sportlich nehmen muss. Nochmal: Ich glaube nicht, dass Umweltschutz ohne Empathie funktioniert.
Im Wald hören wir also mehr auf die Instinkte oder auf unser Gefühl und sollten das aufs restliche Leben auch übertragen, richtig?
Wohlleben: Selbstverständlich. Und das beste Beispiel ist Liebe: Ohne Liebe ist alles nichts. Und gegenseitige Empathie: Wir erleben es gerade in der Politik, dass da teilweise die Sitten verrohen. Da geht es in die Richtung, dass man weniger Mitgefühl hat für Mitmenschen in schlechteren Situationen - und das ist kontraproduktiv. Während wenn wir viel Mitgefühl haben, uns gegenseitig respektieren und möglicherweise sogar Liebe im Spiel ist, dann geht man respektvoller miteinander um. Insofern ist Natur auch ein Spiegelbild. Wenn wir das auf Natur übertragen, dann klappt es mit dem Umweltschutz. Wenn wir Natur so behandeln, als wären es leblose Objekte, dann machen wir sie kaputt. Letztendlich spiegelt das auch unseren Umgang miteinander wider.
Passen wir als Menschen gar nicht mehr so richtig in die Natur?
Wohlleben: Doch das tun wir auf jeden Fall. Wir sind Natur. Auch unser Körper ist wie ein Planet für unzählige Arten, für Bakterien, für Pilze, sogar für Haarbalgmilben, die im Gesicht leben, und gar nicht so klein sind, etwa 0,4 Millimeter. Manche Sachen möchte man gar nicht so genau wissen. Wir sind Natur, definitiv, und wir gehören auch dazu.
Was können wir von den Bäumen lernen?
Wohlleben: Bäume sind auch egoistisch: Die haben nach der Eiszeit zum Beispiel große Pflanzenfresser ausgerottet, indem sie den Boden verdunkelt haben und die Gräser und Kräuter haben verschwinden lassen. Bäume mögen keine großen Pflanzenfresser, aber sie machen ihr Ökosystem in Benutzung für sich selber immer besser. Wälder werden immer leistungsfähiger, je älter sie sind. Und wir machen es so, dass wir unsere Ökosysteme vernutzen, also verbrauchen und kaputtmachen. Das könnten wir von den Bäumen lernen: Es darf ruhig egoistisch sein, es darf ruhig ein bisschen gierig sein - das gehört nun mal zu unserer Natur dazu -, aber wir sollten unsere eigenen Ökosysteme so schützen, dass sie leistungsfähiger werden. Das haben Bäume uns voraus.
Wie lange dauert es bei Ihnen eigentlich, bis Sie den Wald vermissen, wenn Sie nicht im Wald sind?
Wohlleben: Ich würde mal sagen einen Tag. Wir wohnen im Wald, in einem alten Forsthaus, und ich brauche das Rauschen der Bäume, wenn ich vor die Haustür gehe. Das hat man zum Glück mittlerweile auch in vielen Städten. Viele Städte wie zum Beispiel Hamburg sind sehr, sehr grün geworden. Und die suche ich dann auf, wenn ich in der Stadt bin.
Das Interview führte Philipp Schmid.