Abtauchen ins Gehölz: Waldbaden in Norddeutschland
Was hilft bei Alltagsstress und Anspannung? Waldbaden! Doch was ist das und wie funktioniert es? Reporterin Svenja Estner hat Annika Frech, Trainerin für Wald-Gesundheit, begleitet.
Bei vielen ist die Urlaubszeit rum, das Wetter drückt aufs Gemüt und ja, es steht ja auch fast schon Weihnachten vor der Tür - das kann ganz schön stressen. Doch dagegen gibt's ein Mittel: Waldbaden! Nicht mit Quietscheentchen und einem Waschzuber in einem See irgendwo zwischen Tannen und Laubbäumen, sondern bei einer Wanderung mit allen Sinnen und einer Trainerin für Wald-Gesundheit wie Annika Frech.
"Shirin-Yoku": Das Waldbaden kommt ursprünglich aus Japan
Sie steht schon mit Wanderschuhen und einem kleinen Rucksack bepackt am Fuße eines Waldes im Westen von Hannover. Ein bunter herbstlicher Laubwald. Annika Frech und ich spazieren los: "Wir gehen jetzt diesen Weg rein in den Wald, und ich würde gleich erstmal darum bitten darauf zu achten: Wo ist der Moment, wo es in den Wald reingeht, wann bist Du im Wald?", sagt Frech. "Wir gehen einfach abseits der Wege. Das ist für viele Sachen ganz förderlich. Das Erste, was wir machen, ist eine Sache zu einer Zeit. Das ist wirklich gar nicht so leicht. Einfach mal den Fuß bewusst setzen und gucken, wann Du da richtig angekommen bist auf dem Boden. Es gibt diesen Ausdruck 'sich erden', den Fuß richtig abrollen lassen", erklärt die Trainerin.
Der Boden fühlt sich weich an. Gar nicht so leicht, eine Sache nach der anderen zu tun. Das Waldbaden kommt ursprünglich aus Japan: "Shirin-Yoku". Dort gibt es den heilsamen Waldspaziergang sogar auf Rezept! "Weil da natürlich in den Ballungsräumen viel Burnout und Stresssymptome auftreten, die damit behandelt werden. Da ist es auch schon im Therapiebereich. Hier in Deutschland wird es vor allem im Präventionsbereich eingesetzt", so Frech.
Waldbaden kann Voranschreiten von Demenz verlangsamen
Sie erklärt, dass die grüne Farbe um einem herum beruhigend wirke und so Stress abgebaut werde. Sogar das Voranschreiten von Demenz könne ein Waldbad verlangsamen - denn an Kindheitserlebnisse im Wald können sich die meisten Betroffenen (noch) erinnern. Die Waldtrainerin macht kurz unter einer Eiche Pause und setzt den Rucksack ab: "Wir sind hier an der Quelle, an der Sauerstoffproduzierquelle, und alles, was wir ausatmen, kann der Baum gebrauchen und macht daraus den Stoff, den wir brauchen. Deshalb mal jetzt ein paar ganz tiefe Atemzüge", weist Frech an.
Es riecht nach Herbst, frisch und moderig zugleich. Weiter geht's mit Dehnübungen und einer Rückenmassage am Eichenstamm, danach folgt ein kleines Quiz, bei dem fünf unterschiedliche Grüntöne - von hell bis ganz dunkel - im Wald gesucht werden sollen. Annika Frech führt weiter durchs Unterholz, einen kleinen Abhang hinab: "Wenn Du hier so auf den Boden guckst, dann siehst Du viele braune Blätter, aber auch ein paar grüne Blätter: die Esche. Die Esche ist ein Ölbaumgewächs und ist einfach noch nicht so lange hier. Der geht es wie mir mit Weihnachten jedes Jahr: 'Was jetzt schon?! Das hat mir keiner gesagt!' Dann kommt der Frost und dann lässt sie einfach die Blätter fallen."
Meditation im Kosmos Wald
Dieses Prinzip will Frech nun in einer Meditation vertiefen. Sie setzt sich auf den Waldboden und lehnt sich an den mächtigen Stamm eines Ahorns. Ich mache es ihr nach. Jede von uns habe ein weit verzweigtes System aus Beruf, Hobby und Freunden - wie die Äste eines Baums, sagt sie: "Und jetzt geh mal einen nach dem anderen diese Bereiche hindurch. Du gehst diese Bereiche durch und schaust, will ich das mitnehmen? Wenn nicht, dann lässt Du es da, wo es ist, sodass es einfach mit dem nächsten Windhauch weg ist."
Passenderweise geht gerade dann ein Wind durchs Blätterdach. Als ich die Augen wieder aufmache, fühle ich mich leicht und frei. Zurück auf den Hauptweg bin ich fast ein wenig traurig, jetzt schon wieder aus dem Kosmos Wald auftauchen zu müssen. Aber für mich steht jetzt schon fest: Das nächste Waldbad kommt bestimmt.