Waldspaziergänge auf Rezept
In Vorpommern geht eine Ärztin jetzt ungewöhnliche Wege, um ihre Patienten von der Couch zu locken: Zusammen mit dem Forstamt sind im Märchenwald in Rothemühl sogenannte Bewegungsrouten entstanden. Die Kardiologin verschreibt regelmäßig "Bewegungsrezepte" für heilsame Waldspaziergänge, wie die NDR Info Perspektiven berichten.
von Mirja Freye
Die Sonne blitzt durch die leuchtend roten Blätter und zeichnet Schattenmuster auf den Waldboden, als die drei Patienten zusammen mit ihrer Ärztin zu einem kleinen Spaziergang aufbrechen. Edith Gemkow, Wolfgang Pomaska und Peter Zander haben alle das gleiche gesundheitliche Problem: Ihr Herz ist nicht mehr leistungsfähig.
Um ihre Gesundheit zu verbessern, hat Kardiologin Christine Bahr aus Pasewalk ihnen nun "grüne Bewegungsrezepte" ausgestellt: "Wir sagen den Patienten in der Praxis oft, dass sie sich bewegen, sich aktivieren müssen. Sie müssen die Muskeln in Gang bringen. Trotz guter Vorsätze passiert dann aber doch oft nichts." Das "grüne Rezept" bringe nun einen gewissen Druck mit sich: "Man kann es zwar nirgendwo einlösen, aber der Patient fühlt sich verpflichtet: Mensch, der Doktor hat mir hier was aufgeschrieben, ich muss mich dran halten."
"Bewegungsrezepte" wirken motivierend
Neben dem Rezept bekommen die Herz- und Lungenkranken noch ein Bewegungsheft mit Übungen ausgehändigt. Und das hilft wirklich bei der Motivation, da sind sich die Patienten Peter Zander und Edith Gemkow einig. "Das Rezept hängt an meiner Pinnwand. Und das ist immer wie so ein Auslöser, doch noch was zu tun", sagt Zander. Und Gemkow begreift es ebenfalls als Motivation: "Ich sehe es als eine Art Hausaufgabe. Und ich muss sagen, vieles schaffe ich - und die Bewegung tut mir gut."
Zusammenarbeit mit Förstern bei Bewegungsrouten
In Vorpommern sind vor allem auf dem Land Fitnessstudios eher selten, dafür gibt es viele Wälder. Und so kam die Idee, beides miteinander zu verbinden.
Im Märchenwald Rothemühl waren die Förster begeistert von der Idee der Kardiologin und haben ihr bei der Entwicklung der Bewegungsrouten geholfen, so Forstamtsleiter Peter Neumann: "Es geht los mit der Auswahl der Wegestrecken. Die müssen entsprechend vorbereitet sein, dass man sich nicht noch zusätzliche Verletzungen zuzieht. Zudem mussten wir 15 Bänke aufstellen. Und wir haben die Wege ordentlich mit GPS-Daten vermessen und haben quasi die Wanderwege so vorbereitet, dass sie nutzbar sind."
Waldbaden: Positive Auswirkungen auf viele Krankheiten
Ob die Herzkranken nun allein gehen oder in der Gruppe, spielt keine Rolle. Hauptsache der Kreislauf kommt in Schwung. Das Tempo muss dabei nicht mal sportlich schnell sein. Es reicht, sich langsam und regelmäßig zu bewegen, so Bahr: "Wer acht Stunden täglich sitzt, hat ein 80 Prozent höheres Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen. Dieses Risiko kann man allerdings wieder völlig gegen null bringen, indem man sich fünf Stunden pro Woche bewegt."
Es seien ungefähr 15 Krebserkrankungen bekannt, die durch regelmäßige körperliche Bewegung vermindert werden könnten. Außerdem treten der Ärztin zufolge bei Bewegungsaktiven seltener Depressionen auf, das Demenzrisiko werde vermindert und auch chronische Lungenerkrankungen könnten positiv beeinflusst werden.
"Beweg-dich-Routen": Projekt soll weiter wachsen
Damit sich niemand vor medizinischen Notfällen allein im Wald fürchtet, sind alle Routen mit GPS und in einer App erfasst. Im Ernstfall reicht ein Klick. Ärztin Bahr hat schon größere Pläne: Wir wollen diese Art von Beweg-dich-Routen auch über unseren gesamten Landkreis verbreiten. Überall dort, wo der Wald an an Dörfer grenzt, soll so eine Route entstehen."
Das Feedback der Patientinnen und Patienten sei durchweg positiv, beschreibt die Kardiologin: "Oft werde ich nach weiteren Routen gefragt. Selbst aus Bayern und Tirol sind Anfragen eingetroffen." Mit Forstamtsleiter Neumann sei bereits vereinbart, ab März drei weitere Standorte auszustatten.
Waldbaden hat lange Tradition in Japan
Der Wald auf Rezept in Rothemühl ist deutschlandweit zwar der erste dieser Art, die Idee findet aber auch anderswo Anklang: Auf der Insel Usedom und in Bad Doberan bei Rostock gibt es schon sogenannte Heilwälder, am Berliner Wannsee kann man auf einem Waldbade-Pfad wandeln.
Dennoch: In Deutschland steckt die Idee "Wald auf Rezept" in den Kinderschuhen. Ganz anders in Japan. Dort gibt es schon seit den 80er-Jahren die Tradition des Waldbadens. Das japanische Landwirtschaftsministerium förderte bereits vor Jahren ein millionenschweres Forschungsprogramm, um die medizinische Wirkung des Waldbadens nachzuweisen. Es gibt dort die Möglichkeit, sich fachärztlich auf das Thema Waldmedizin zu spezialisieren. Sogar ein eigenes Zentrum für Waldtherapie ist entstanden. Die aktuelle Forschung bezieht sich dabei auf eine lange fernöstliche Tradition, das sogenannte Shinrin-yoku. Ob sich die japanischen Studien so einfach auf den europäischen Wald übertragen lassen, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Achtsamkeitstrainer bieten Shinrin-Yoku aber auch hierzulande bereits als gemeinsame Übung an.