Das beschädigte Museum in Huliaipole in der Ukraine © imago
Das beschädigte Museum in Huliaipole in der Ukraine © imago
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AUDIO: Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine: Kunstretter in Kriegsregionen (7 Min)

Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine: Kunstretter in Kriegsregionen

Stand: 23.10.2024 08:16 Uhr

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine richtet sich auch gezielt gegen die Kultur des Landes. Hilfe für die kriegsbedrohten Museen und Kulturgüter im Land bietet das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine.

Der Verbund aus Wissenschaftlern und Logistikern organisiert Hilfstransporte in die Ukraine. In den Lastwagen befinden sich Verpackungsmaterialien, Transportkisten, Werkzeuge für die Restaurierung, Feuerlöscher und Luftentfeuchter - alles, um Kunstwerke und Kulturgüter zu schützen, auch vor Bombenangriffen oder Plünderung. Der Kunsthändler und Kunsthistoriker Johannes Nathan gehört zur Steuerungsgruppe des Netzwerks.

Herr Nathan, insgesamt liegen über 400 Museen und 3.000 Kulturstätten, darunter sieben Welterbestätten, in der Ukraine. Wie viel ist davon zerstört worden seit Beginn des russischen Angriffskriegs?

Johannes Nathan: Das ist gar nicht so einfach zahlenmäßig zu beantworten. Die Schäden, die durch den russischen Angriffskrieg entstanden sind, sind sehr unterschiedlich. Es gibt ganz schlimme Fälle wie das Museum von Hryhorii Skovoroda, das eigentlich komplett zerstört wurde, offenbar durch einen gezielten Treffer. Es gibt aber auch ganz viele Fälle, wo Institutionen durch Schockwellen von nahe landenden Bomben getroffen werden, wo Fenster eingedrückt werden und es so zu Schäden der verwahrten Objekte in diesen Häusern kommt. Dann gibt es aber auch die Fälle, die indirekt sind, wo zum Beispiel wegen ausbleibender Mittel und wegen mangelndem Personal das Dach nicht mehr repariert werden kann oder dringende Arbeiten nicht mehr ausgeführt werden können.

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Was ist gerade besonders bedroht?

Nathan: Besonders sind es die Institutionen in Frontnähe. Da ist leider wieder einiges an Dynamik entstanden, östlich von Charkiw zum Beispiel, aber auch in Charkiw selbst, was ständig bombardiert wird. Viele Institutionen denken wieder über Evakuierungen nach oder haben schon mit den Evakuierungen angefangen. Das sind Schritte, die die Verantwortlichen nur zögernd nehmen, weil es eine Form des Zurückweichens ist. Man möchte dem Aggressor so wenig wie möglich nachgeben. Deswegen tut sich auch das Ministerium immer wieder schwer, Evakuierungen zu erlauben. Aber es hat in letzter Zeit wieder größere Evakuierungsmaßnahmen gegeben, und es wird vermutlich auch demnächst weitere geben. Das ist ein Zeichen des zunehmenden Drucks auf die Ostfront in der Ukraine.

Der Krieg dauert seit über zweieinhalb Jahren an. Wie hat sich die Arbeit des Netzwerks in dieser Zeit verändert?

Nathan: Von der Grundausrichtung hat sich gar nicht so viel verändert. Wir haben weiterhin die zwei Schwerpunkte Material und Hilfslieferungen einerseits und andererseits gezielte Projektförderung. Was sich geändert hat, ist die Form des Drucks auf die Institutionen und die Probleme, mit denen die umzugehen haben. Es ist vermehrt auch das Problem der Energieversorgung ein Thema. Durch die zunehmende Dauer des Krieges machen sich die finanziellen Engpässe in den Institutionen bemerkbar. Und es macht sich leider auch die Abwesenheit von männlichen Kollegen bemerkbar, die eingezogen werden und an der Front kämpfen müssen. All das kreiert einen zunehmenden Druck auf diese Institutionen, die aber wiederum sehr dankbar sind, wenn sie Hilfe aus dem Ausland erhalten.

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Wenn man sich die humanitäre Lage anguckt, dann geht es in diesem Krieg für die Menschen um Leben und Tod. Welchen Stellenwert haben da bedrohte Kulturgüter?

Nathan: Ich würde sagen, und das ist auch das, was wir aus der Ukraine immer wieder hören: Der Stellenwert ist eigentlich sehr hoch. Es ist eine Form, auch die tiefen Schichten der gemeinsamen Kultur zu erhalten und zu erkennen. Es geht durchaus auch um performative Künstler, also Opernhäuser und Theater, es geht aber auch um solche Dinge wie das Chanenko Museum, das Besucher durch seine leeren Räume führt. Die Objekte sind eingelagert, aber auf diese Weise kann man die Architektur noch einmal anders erleben, man kann mit den Kuratorinnen und Kuratoren über ganz spezifische Probleme sprechen. Man kann sich als Besucher einfach zurückziehen und dort Bücher aus der Bibliothek des Chanenko Museums lesen. Es entsteht eigentlich eine ganz neue, eigene Kultur, die sich insbesondere an diesen Momenten des Durchatmens erfreut. Gerade in dieser Zeit der ständigen Bedrohung ist es für die Menschen ganz besonders wichtig, auch mal abschalten zu können, auch mal ihre Gedanken auf etwas ganz anderes, Schönes, Leichtes, Erfreuliches oder Tiefsinniges richten zu können, was aber nicht unbedingt direkt mit den täglichen Sorgen und der täglichen Bedrohung zu tun hat.

Mehrere Stiftungen unterstützen das Netzwerk, auch der Bund gibt Geld. Was brauchen Sie derzeit am dringendsten?

Nathan: Wir brauchen Mittel, um Sachspenden zu akquirieren. Da geht es um Geräte für die Energieversorgung, die, wenn der Strom da ist, diesen speichern, und wenn er nicht da ist, ihn wieder abgeben können. Aber auch kleinere Powerbanks, damit die Menschen an ihren Computern weiterarbeiten können. Wir brauchen auch Ausrüstung für den Feuerschutz und für den Einbruchschutz. Denn es hat leider auch immer wieder Fälle gegeben, wo Einbrecher die Gunst der Stunde der Stromausfälle genutzt hat, eingebrochen sind und dort Objekte entwendet haben, weil die Alarmsysteme nicht funktionierten und auch kein Licht vorhanden war. Weiterhin sind Verpackungsmaterialien ein großes Thema. Auch eingelagerte Objekte müssen immer wieder kontrolliert werden. Wir sind dabei, gewisse Lagerorte durch Klimageräte oder auch durch Trocknung der Lagerräume zu ertüchtigen.

Das Gespräch führte Anna Novák.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 22.10.2024 | 16:30 Uhr

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