Nan-Goldin-Retrospektive in Berlin: Eklat mit Ansage
Die amerikanische Fotografin Nan Goldin kritisierte während der Eröffnung einer Ausstellung das Vorgehen Israels in Gaza. Als der Direktor der Nationalgalerie daraufhin eine Gegenrede halten wollte, wurde er niedergebrüllt. Ein Eklat mit Ansage, meint der Kunst- und Politikwissenschaftler Jonathan Guggenberger.
Bei der Eröffnungsrede hatte die jüdische Fotokünstlerin aus New York deutlich gemacht, dass sie die Ausstellung in Berlin dazu nutzen wolle, ihrer moralischen Empörung über den Gaza-Krieg und die Haltung Deutschlands zum Nahost-Konflikt Ausdruck zu verleihen. Unterstützt wurde sie von Aktivistinnen und Aktivisten, die laut "Freiheit für Palästina" forderten. Als der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, im Anschluss seine Gegenrede halten wollte, wurde er von Sprechchören niedergebrüllt. Direkte Kritik kam von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Am Sonntag fand ein Symposium zu der Ausstellung statt, an dem auch Jonathan Guggenberger teilnahm. Er ist Kunst- und Politikwissenschaftler, Journalist und Autor, und schreibt über Erinnerungspolitik und Antisemitismus in Kunst und Kultur.
Herr Guggenberger, konnte man einen Eklat nicht schon im Vorfeld erwarten?
Jonathan Guggenberger: Man kann den Ausstellungstitel der Nan-Goldin-Ausstellung "This will not end well" durchaus als selbsterfüllende Prophezeiung verstehen. Ich meine, dass eigentlich alle Positionen, alle Akteure und ihre Strategien, diesen Eröffnungsabend am Freitag für sich und ihre politischen Zwecke und Ziele zu nutzen, bekannt waren. Nan Goldins antiisraelische Argumentation war bekannt, auch die moralische Selbstgerechtigkeit, mit der sich ihre Unterstützer am Freitag um sie versammeln würden, war bekannt. Und vor allem Strike Germany und ihre Strategien waren bekannt. Das ist die Boykottbewegung, die schon in Dutzenden Fällen im Kulturbereich versucht hat, mit öffentlichen Verleumdungen von Künstlerinnen und Künstlern, dafür zu sorgen, dass Veranstaltungen wie die Ausstellung, wie aber auch das Symposium am Sonntag abgesagt werden oder Künstlerinnen und Künstler ihre Teilnahme absagen. Teilweise hat es in diesem Fall auch funktioniert, zum Beispiel bei der Künstlerin Candice Breitz oder bei dem Künstler Eyal Weizman, die beide ihre Teilnahme am ausstellungsbegleitenden Symposium abgesagt haben.
Ähnliche Fälle hatten wir in Berlin auch mit Ausstellungen wie "Poetics of Encryption" in den Kunstwerken Berlin, aber vor allem auch bei Veranstaltungen der Clubkultur, wie dem CTM Festival, die von Strike Germany recht klar unter Beschuss genommen wurden. Es war bekannt, dass Strike Germany offen mit judenfeindlichen Parolen wie "Intifada Revolution", also dem Aufruf zum Judenmord, dort auftreten wird. Letzten Endes kennt man diese einschüchternden Strategien und kalkulierten Skandale auch vom rechten politischen Spektrum. Auch da zielen sie größtenteils darauf ab, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, auch eine vermeintliche Macht in diesen Räumen zu demonstrieren und damit ein Stück weit auch den demokratischen Diskurs, der dort stattfinden soll, mit den eigenen Mitteln des demokratischen Diskurses, also dem Angebot zu sprechen, dem Angebot, einen Dialog aufzunehmen, sich auseinanderzusetzen, kontrovers auszuhebeln.
Das Symposium war eigentlich dafür gedacht, um den Dialog zwischen israelischen, jüdischen, palästinensischen und muslimischen Künstlerinnen und Künstlern zu fördern. Zu welchem Ergebnis ist man da gekommen?
Guggenberger: Klare Ergebnisse gab es keine, und das schien auch nicht unbedingt der Zweck des Symposiums zu sein. Sondern einen Raum zu schaffen, in dem dieser durchaus kontroverse Austausch überhaupt erst mal wieder stattfinden kann - was nach den letzten Monaten keine Selbstverständlichkeit ist. Man kann da eigentlich den Co-Organisator dieser Veranstaltung, Meron Mendel, zitieren, der in seiner einleitenden Rede gesagt hat: "Wir wollen nicht versuchen, einen Konsens herzustellen." Es ging also gar nicht so sehr darum, praktische Ergebnisse zu produzieren, sondern überhaupt erst mal wieder den Austausch aufzunehmen, der zuvor abgebrochen ist. Wenn es um Ergebnisse geht, dann war das etwas, was man mitnehmen konnte, dass genau dieser Austausch in anderen Institutionen fortgesetzt werden muss.
Trotzdem gab es auch Dinge, die ich an der Stelle betonen möchte, weil es in der ganzen Diskussion auch um die Kultur, um Kunstproduktion geht. Da waren zum Beispiel Leute wie Remsi Al Khalisi, der Schauspieldirektor vom Theater Münster, der davon erzählt hat, dass er das Theater als Raum der Auseinandersetzung nutzt, in dem gesellschaftliche oder politische Widersprüche in Bezug auf Nah-Ost oder den Krieg nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, sondern als künstlerisches Potenzial, das auf der Bühne ausgehandelt werden kann. Da spielen dann in manchen Stücken plötzlich antizionistische Schauspieler Juden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts um einen jüdischen Staat kämpfen, die sich in Vorbereitung für ein Stück anders mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Oder da war auch die israelische Künstlerin Ruth Patir, die bei der diesjährigen Kunstbiennale unter Boykottkampagnen gelitten hat und letzten Endes als Protest gegen diesen Boykottaufruf, aber auch gegen die eigene Regierung, den israelischen Pavillon geschlossen hat. Die hat nach der Panel-Diskussion ihren Film gezeigt, den sie dort nicht zeigen konnte. In solchen Momenten merkt man, dass gerade gute Kunst die Möglichkeit hat, Räume zu öffnen, in denen so eine wahrnehmbare Ohnmacht, die wir auch am Freitag ein Stück weit spüren konnten, nicht in Hass und Gewalt umschlagen muss, sondern in eine gemeinsame Erfahrung von der Welt. So wie die Welt gerade ist, so brutal wie sie ist, so brutal wie dieser Krieg ist, aber auch eine gemeinsame Erfahrung von der Welt, wie sie anders sein könnte oder wie sie nicht bleiben darf.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.